Unser Vereinsmitglied und Lauforganisator Michael Frenz hatte zum Real Kick eingeladen, einen Lauf über 125 km und knapp über 4.000 Höhenmetern durch die Eifel.
Mit 58 Anmeldungen gab es in diesem Jahr eine Verdoppelung der Teilnehmerzahl und knapp 50 Läuferinnen und Läufer stellten sich letztendlich der Aufgabe.
Es ging teils auf Wegen, teils auf ehemaligen Wegen und teils mitten durch die Pampa. Die Strecke führte von Moselkern, einem kleinen Ort an der Mosel, wie man schon vom Namen her vermuten kann, zunächst an der Eltz entlang, vorbei an den Burgen Eltz und Pyrmont bis nach Heunenhof. Auch hier lässt durchaus der Ortsname auf die Größe des Ortes schließen.
Dann folgten zwei Runden entlang der Traumschleifen um Monreal und Bermel bevor es noch einen längeren Marathon bis zum Ziel nach Maria Laach ging. Da man hier mitten in der Vulkaneifel war und Micha F. ein Spezialist darin ist, alle Gipfel irgendwie zu verbinden, kamen in diesem Abschnitt einige Höhenmeter zusammen, was mit dem Aufstieg zur Teufelskanzel seinen fulminanten Höhepunkt erfährt. Fragte sich ein Teilnehmer, warum der Lauf eigentlich den Namen „Real Kick“ hat, so wurde es ihm hier bewusst.
Hatte ich letztes Jahr den Plan, meinen Freund Sascha Mörth, nach einer unter anderem aufgrund einer Fußverletzung verkorksten Saison zu helfen, fehlende UTMB-Punkte einzusammeln, was für ihn nach ca 80 km schmerzhaft endete, so wollten wir es diesmal besser machen. Ich hatte schon damals nicht den Eindruck, dass die 24h großzügig waren, aber dieses Jahr waren es lauf Ausschreibung 5 km mehr, dafür 400 Höhenmeter weniger!
Einen Plan zu machen, ist eine leichte Übung.
Der Lauf hat 4 Segmente. Plant man je 100 Höhenmeter im Aufstieg von 1 km flach ein und multipliziert man diese „km+“-Kilometer mit dem geplanten Tempo, so bekommt man die Laufzeit. Mit diesem Wert und der Streckenlänge kann man dann die geplanten Kilometer pro Stunde ausrechnen, woran man sich grob orientieren kann.
Nach dem ersten und zweiten Teilstück war nur ein kleiner Stopp geplant, nach der dritten eine längere Pause. Bei Läufen dieser Art reichen mir Schokolade und gesalzene Nüsse, wenn vorhanden nehme ich auch Datteln oder Chips; auch bei den Getränken präferiere ich eher natürliche Getränke wie Bier oder Kaffee. Aber diesmal hatte Michael Frenz eine Ferienwohnung angemietet und versorgte seine Teilnehmer neben allem Üblichen auch mit einem Kartoffel- und Nudelgericht. Da ich ja nicht weiß, wer sich der Gruppe anschließt, habe ich eine größere, nächtliche Essens-Pause eingeplant.
Beim Briefing schockte mich Michael Frenz mit einer Änderung der Ausschreibung! Es ist einer seiner Wesenszüge, immer wieder für Überraschungen gut sein und einer seiner Lehrsätze, immer das Unvorhersehbare einzuplanen. Also dass es regnen könnte, obwohl der Wetterbericht keinen Regen vorhergesagt hat oder man eine Blase bekommen kann, obwohl man doch noch nie eine hatte. Im vorausschauenden Krisenmanagement sind wir uns sogar recht ähnlich, ich schleppe in meinem Rucksack deutlich mehr Erste-Hilfe-Kram, Batterien und Lebensmittel mit, als ich es für mich brauchen würde. Seine spontane Regeländerung: Das Zeitlimit wurde von 24 auf 25 Stunden erhöht.
Ist ja eigentlich gut für die Läufer und ein Dutzend Läufer nahmen das auch mit Erleichterung zu Kenntnis, aber für mich, der ja gerne Pläne abarbeitet, war das natürlich ein Problem. Mein Angebot bestand ja darin, eine Gruppe zu einem sicheren Finish im Zeitlimit zu führen, also war mein Plan auf 23 Stunden plusminus eine Stunde ausgelegt, denn man kann ja im letzten Teilstück schwächeln oder sich kurz vor dem Ziel verlaufen, daher der Puffer, den man ggf. aber auch schon vorher anknabbern kann, falls Not ist.
Die Drei Männer der LG Ultralauf kurz vor dem Start: Sascha Mörth, ich und Matthias Heinle.
Nach dem Prinzip, dass die einfachsten Lösungen immer die besten sind, entschloss ich mich, meinen Plan nicht zu ändern und dafür einfach mehr Puffer zu haben. Dabei fragte ich mich durchaus, ob das nicht eine nette Geste des Schicksals ist oder er sogar mir zuliebe das Zeitlimit geändert hat, denn nachdem ich in der ersten Jahreshälfte mehrere Monate gar nicht gelaufen bin, erst seit dem Herbst wieder im vorsichtigen Training bin und beim Röntgenlauf vor zwei Wochen feststellen musste, dass meine Form gerade einmal für 30 km reicht, wäre eine Reduktion der Erwartungshaltung vermutlich schlau gewesen. Mit dem Köln-Marathon und Röntgenlauf hatte ich genau zwei Einheiten, die länger als 25 Kilometer waren, in meinem Trainingsprotokoll stehen und, dass Erfahrung einen nicht die Berge hochschiebt, konnte ich erst vor zwei Wochen feststellen.
Also keine Planänderung. Etwas verspätet schickte Michael die Gruppe ins Abenteuer. Wir liefen bewusst als letzte los, auch um zu sehen, wer sich der Gruppe anschloss. Nach dem Ort ging es direkt einen steilen Pfad bergauf und wir wanderten gemütlich los.
Die ersten Überholmanöver standen an, denn einige Leute hatten ihre Zielzeit sofort auf 25 Stunden umgestellt und starteten entsprechend noch verhaltener. Als Besenläufer weiß ich immer gerne, wer und wie viele hinter mir sind. Mittlerweile kenne ich diese Läuferinnen und Läufer besser als die in der Spitze: Brigitte und Sascha, mit denen ich letztes Jahr gemeinsam ins Ziel laufen durfte, die super erfahrenen Claudia und Peer sowie Guido, der nach einer Verletzungspause mit Hund unterwegs war, lassen wir hinter uns. Bei km 5 die erste Überraschung, der Weg führte mitten durch die Eltz. Na sowas, da stand doch letztes Jahr noch eine Brücke? Wir liefen einen kleinen Umweg und wählten den Weg über die Brücke. Nicht jeder, der den direkten Weg durch das kniehohe, eiskalte Wasser nutzte, fand das im Nachhinein übrigens eine gute Idee. Komischerweise stand plötzlich eine Gruppe von Läufern auf der falschen Flussseite, andere überholten uns, die wir nie überholt hatten – offensichtlich hatten einige Teilnehmer noch Schwierigkeiten mit der Navigation.
Ein erster Höhepunkt ist die Burg Eltz, wo es allen Teilnehmern noch gutgeht und man schöne Erinnerungsfotos machen kann.
Wir waren in einer international besetzten 6er-Gruppe unterwegs. Zwei Franzosen, die unbedingt noch die für ein Finish verdienten UTMB-Punkte benötigten, anfangs total unterfordert wirkten und gegen Ende schwer zu kämpfen hatten. Ralf aus Berlin, der den Track vom letzten Jahr aufgespielt hatte und Abhilash Indresha aus Indien, der sehr nett, aber leider mit den Anforderungen etwas überfordert war, frühzeitig schon aus unserer Gruppe fiel und nach 80 km aus dem Rennen genommen werden musste.
Etwa bei km 30 gab es eine Wasserstelle. Die nannte sich nicht nur so, hier gab es auch nichts Anderes. Da ich ja meinen Rucksack voll hatte, konnte ich locker die Gruppe mit Schokolade und Obstriegel versorgen.
Bei herrlichem Herbstwetter bot die Landschaft tolle Motive und die Zeit verflog nur so. Die Strecke wurde auf diesem Stück im Vergleich zum letzten Jahr etwas länger, aber erheblich einfacher.
So kamen wir sogar etwas früher als erwartet an der großen Versorgungsstelle in Heunenhof an. In der guten Stube gab es reichlich zu trinken und zu essen, der Kamin brannte, viele nette Leute führten angeregt Gespräche und es fiel schwer, sich da wieder zu lösen. Die Pause war mindestens doppelt, eher dreimal so lang, wie geplant, aber wozu hat man denn den Puffer, wenn nicht zum Essen?
Aufbruch nach einer ungeplant langen Pause. Gut gelaunt und noch besser gestärkt führte uns der nächste Abschnitt entlang des Monrealer Ritterschlages einmal um Monreal. Es ist eine sehr schöne Strecke, doch leider musste Sascha immer öfter abreißen lassen. Seine Knöchel waren angeschwollen und die Abrollbewegung zunehmend schmerzhaft. Das ist leider die Kehrseite eines Abenteuers, dass man nie weiß, ob es gut geht und nicht jeder Plan ist umsetzbar. So blieb der Gruppe nichts Anderes übrig, als sich zu trennen. Sascha und mir stand eine dreistündige und trotzdem schöne Wanderung bevor, während die anderen sich nun alleine auf den Weg machten. So bitter der Abbruch für Sascha war, die Entscheidung war alternativlos. In der gemütlichen Ferienwohnung angekommen, brauchte auch ich nun einen neuen Plan. Zunächst einmal musste ich mich jedoch aufwärmen. Sollte ich alleine weiter oder mich einer anderen Gruppe anschließen? Wie ich so unentschlossen dasaß, war ruckzuck wieder eine halbe Stunde weg, also etwa 2 Stunden über Plan. Also, im Zeitlimit ankommen wollte ich schon, also weiter und los!
Dann kam mir doch tatsächlich einmal eine gute Idee! Ich lief diese Runde einfach falsch rum! Dadurch kamen wir die Leute alle entgegen; ich konnte die Leute alle anfeuern und hatte auch nicht das Gefühl, alleine unterwegs zu sein. „Meine Gruppe“ traf ich etwa bei Kilometer 6, d.h. sie hatten etwa 11 Kilometer zurückgelegt, also 5 Kilometer mehr oder einen Vorsprung von 40 Minuten. Wenn ich mich beeile, würde ich 10 Minuten aufholen können. Ich käme dann etwa 30 Minuten nach ihnen an, was etwa der Länge der geplanten Pause entsprach. So wurde „im Vorbeigehen“ ein neuer Plan geschmiedet. Dann war ich wieder in meinem Element. Um einmal den Slogan einer Fast-Food-Kette zu benutzen: Ich liebe es, alleine und nachts unterwegs zu sein. Nur mein GPS-Gerät und ich! Dann denke ich an nichts, bin eins mit der Natur, nehme den Vollmond und die Strecke erinnerungslos zur Kenntnis und laufe einfach. Kurz vor der Wohnung kamen mir die Franzosen entgegen. Sie wollten wohl doch keine lange Pause machen und zogen nun alleine in die Nacht. In der Wohnung wartete schon Ralf und Gregor wollte sich uns gerne anschließen wollte. Eine Handvoll Nüsse, ein paar Kekse, einen Kaffee und den Rest einer Falsche Cola und schon nach 5 Minuten war ich wieder startklar. Etwa um 23:45 Uhr verließen wir das warme Quartier und brachen auf. Damit hatte ich durch die schnelle Runde und kurze Pause wieder eine Stunde aufgeholt und wir waren etwa 1 Stunde über dem Plan. Also gut, dann jetzt sub 24 versuchen!
Unser neuer Mitläufer stellte sich als Gregor aus der Nähe von Karlsruhe vor und lief heute seinen ersten „richtigen“ Ultra. Von allen Möglichkeiten, so ungefähr 100 km zu laufen, hatte er sich zweifellos eine der schwersten herausgesucht! Erst vor zwei Wochen hatte er realisiert, dass die Strecke gar nicht markiert war und er ein GPS-Gerät benötigte. Was für krasse Geschichten es gibt! Er hat allerdings eine sehr sportliche Vergangenheit und bereits einige Langdistanzen im Triathlon hinter sich. Wir überholten eine wandernde Fünfergruppe. Wenn es nicht gerade 2 Uhr morgens bei minus 5 Grad inmitten der dünnbesiedelten Eifel wäre, hätte man gedacht, man träfe auf eine Nordic Walking Gruppe bei ihrer Sonntagmorgen-Runde. Bei Gregor traten plötzlich Schwierigkeiten auf und kumulierten sich schnell, sodass wir fast nur noch gehend unterwegs waren. Als wir bei Kilometer 100 ankamen, wo Sebastian von 20 Uhr am Samstagabend bis um 5 Uhr am Sonntagfrüh bei eisigen Temperaturen einen Versorgungspunkt betreute, war ich total durchgefroren. Trotz vier Lagen Kleidung und winterlicher Mütze und Handschuhen brachte es mein Kreislauf nicht mehr fertig, Wärme zu produzieren. Schon blöd. Einerseits wolle ich Gregor nicht alleine lassen, andererseits wollte auch ich keine Krankheit provozieren. In dieser Situation kam ein wenig Glück dazu. Die Stockgruppe kam auf uns aufgelaufen und es entwickelte sich ein regelrechter Positionskampf. Es überrascht sicher niemanden, dass sich die Gruppe in kürzester Zeit gleich zweimal kurz verlief, da die Vorderen sich keine Zeit nahmen, genau auf den Track zu schauen und die hinteren einfach den Vorderen hinterherrannten. In dieser Phase überholten wir die beiden Franzosen, die schwerfällig marschierten.
Am Ende des taktischen Geplänkels waren Ralf und ich vorne. Rainer Grossmann hatte sich uns angeschlossen, vermutlich weniger aus Ehrgeiz, sondern eher aus Interesse, wer denn jetzt plötzlich zu einer Tempoverschärfung nach 110 km fähig war. Er ist im Segment der superlangen Nonstopläufer einer der erfahrensten Läufer in Deutschlands und hat unter anderem den Wibold und Junut gefinished. Zu dritt setzten wir den Weg fort und unterhielten uns angenehm.
Etwa zwei Kilometer vor dem Ziel an der letzten etwas unübersichtlichen Kreuzung schafften wir uns, das letzte Mal ein wenig zu verlaufen. Während Ralf die steile Böschung hochkrabbelte, gingen Rainer und ich zurück. Wir beschlossen, jetzt keinen Stress mehr zu machen und wanderten plaudernd die letzte Strecke bis zum Ziel im Naturfreundehaus in Maria Laach, welches wir etwa um halb acht, also nach etwa 23:30h erreichten.
Mein Fazit fällt vielschichtig aus. Zunächst bin ich froh und stolz, den Lauf überhaupt gefinished zu haben; die Eifel ist wunderschön; die Läufe von Michael Frenz sind sehr speziell, aber für eine große Klientel sehr empfehlenswert; ich vertrage Kälte nicht gut; man trifft bei solchen Läufen die tollsten Leute.
Gewonnen habe ich aber auch die Erkenntnis, dass mir diese Läufe immer noch unheimlich viel Spaß bereiten und ich freue mich schon auf den Tag, an dem ich einmal trainiert am Start stehe.
Matthias hat übrigens nach 20:13 Stunden, als 8. das Ziel erreicht. Tolle Leistung!
Text und Bilder: Michael Irrgang, 14.11.2016