Laufgemeinschaft der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung e.V.

Text Michael Irrgang, Grafik und PDF-Anhang: Dr. Christoph Wenzel, 11.05.2023

Sich durch ein gezieltes Training gut in Form zu bringen, ist eine Sache, aber das Potential dann auch im Wettkampf umzusetzen eine andere. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle und die Renntaktik will gut durchdacht sein.

Einen sehr interessanten Artikel zu dem Thema Tempokonstanzfaktor im 24h-Lauf hatte in der ULTRAMARATHON-Ausgabe 3/2022 Dr Christoph Wenzel veröffentlicht, den ich hier gerne verlinke. Vielen Dank für die Bereitstellung der PDF-Version und die Erlaubnis zur Veröffentlichung. <Artikel öffnen>

Mit dem Tempokonstanzfaktor meint Chrisoph das Verhältnis der gelaufenen Kilometer innerhalb der ersten 12 Stunden im Verhältnis zu den Kilometern der zweiten Rennhälfte. Die Formel zur Ermittlung des Prozentwertes ist:

(Distanz der zweiten Hälfte) / (Distanz der ersten Hälfte) * 100.

Beispiele: 100 würde bedeuten, zwei gleiche Hälften zu laufen – was so gut wie nie vorkommt. Wer in der ersten Hälfte 100km und in der zweiten 80km läuft, hat einen Faktor von 80.

Tempokonstanzfaktor

Die Grafik ist dem Artikel entnommen und zeigt eine Auswertung von mehreren 24h-Läufen aus Basel und Oslo. Die Zahlen sind wirklich bemerkenswert! Bezüglich der untersuchten Daten (das mag am schlechten Wetter gelegen haben) haben 49 % der Teilnehmer einen Wert schlechter als 60% und die nur 5 % erzielen einen Wert von über 90%, wobei Werte unter 90% bei kürzeren Distanzen eher selten sind und man schon als „Einbruch“ bezeichnen würde!

Ergebnisse seiner Auswertung

In dem Artikel analysiert Christoph die Zahlenbasis nach verschiedenen Kriterien und stellt fest:

  1. Mit zunehmendem Alter wird der Faktor besser, insbesondere ab 65 Jahre.
  2. Teilnehmer mit einer hohen Leistungszahl haben einen besseren Faktor.
  3. Frauen teilen sich das Rennen besser ein als Männer.

So ganz überraschend sind diese Erkenntnisse nicht, dennoch ist die Höhe der Unterschiede krass hoch. Klar ist, dass Erfahrung seinen Wert hat. Zum einen bei der Renneinteilung, aber auch beim Training. Wer jahrelang hohe Umfänge trainiert hat und einige 24h-Läufe gelaufen ist, weiß, was der Körper braucht und wie man Krisen managed. Eine Erklärung für die zweite These ist, dass einige, die ihr Ziel nicht erreichen können, die Bemühungen, ein maximales Ergebnis zu erzielen, komplett einstellen. Bei anderen Ultraformaten gibt es ein DNF, im 24h-Lauf verfälschen solche Einzelfälle die Statistik. Der Unterschied zwischen Frauen und Männern war nicht sehr groß, aber immerhin messbar. Das könnte an einer defensiven Taktik, dem härteren Willen oder der besseren Widerstandsfähigkeit gegen Krisen liegen. In der Spitze trifft das aber nicht zu, denn bei dem von Christoph zitierten Weltrekord der Frauen hat Camille Herron einen Faktor von 84,7% erreicht.

Als Schlussfolgerung zu der Empfehlung von Christoph ist sie wohl zu optimistisch in das Rennen gestartet und hätte möglicherweise bei einer noch besseren Renneinteilung eine noch bessere Leistung erzielen können.

Empfehlung zur perfekten Renneinteilung

Ideal erscheint ein Faktor zwischen 95 und 98 %, wobei Christoph Werte von über 80 als „gut“ bewertet.

Wählt man als Referenzbeispiel den Weltrekord von Alexandr Sorokin aus dem Jahre 2021 so kann man einen Faktor von 97,0 ausrechnen, denn er lief 157,021 km in der ersten und 152,378km in der zweiten Hälfte.

Diese Empfehlung gilt für alle Geschlechter und Leistungsklassen. Interessant ist auch die Begrenzung auf 98 %. Warum nicht 100 oder sogar mehr, was bei einem Marathonlauf als „negativen Split“ bezeichnet wird und oftmals üblich ist. Die Ursache liegt vermutlich zum einen daran, dass trotz bestem Training und perfekter Renneinteilung eine gewisse Ermüdung sich leistungsmindernd auswirkt: Der Körper überhitzt, die Schritte werden kürzer, die Koordination leidet, Magenprobleme treten häufiger auf. Zum anderen liegt es aber auch an häufigeren, kleinen Pausen in der zweiten Rennhälfte, beispielsweise für Toilette, Umziehen oder Blasen behandeln.

Vorschlag zur Taktikplanung

Ich finde es wichtig, dass man sein Rennen plant und nicht einfach nur nach folgender Devise losläuft: „Langsam starten und dann mal schauen, wie sich das Rennen entwickelt.“ Die Planung beginnt schon Wochen vor dem Rennen, wenn man sich ein Anfangstempo überlegt und eine realistische Kilometermarke als Ziel setzt.

Der erste Ansatz führt zu einer Teilung der geplanten Leistung in 4 Rennabschnitte. Sie beginnt mit der Teilung in zwei Hälften. Wer beispielsweise 180km läuft, könnte 95km in der ersten und 85km in der zweiten Hälfte einplanen. 10 km Differenz scheint ok zu sein, max 15. 10 Kilometer entspricht in diesem Fall einem Tempokonstanzfaktor von etwa 89,5. Dann würde ich die Werte ein weiteres Mal teilen und Leistungen für die vier 6-Stundenabschnitte einplanen: Beispielsweise 51km / 44km / 43km / 42km. Um in der zweiten Rennhälfte noch Energie für die 85km zu haben, muss man sich in der ersten Hälfte schonen. Es ist erwiesenermaßen der falsche Weg, mit 60km im ersten Viertel zu beginnen, selbst wenn es sich locker anfühlt!

Im nächsten Schritt plant man in 3h-Abschnitten, jedoch hier etwas genauer, in dem man sich eine Renn- und Pausentaktik überlegt. Die Renntaktik für die ersten 3 Stunden könnten so aussehen: Durchlaufen in einem Netto-Tempo von ca 6:30 min/km. Dazu würde ich einmal 2 Minuten für Pausen einplanen, also wäre die Nettolaufzeit 2:58. Nach den 3 Stunden gibt es eine 5-minütige Pause und dann noch einmal 6 Minuten für ungeplante Pausen bis zur Stunde 6. Insgesamt gäbe es dann für die Stunden 4 bis 6 eine Laufzeit von 2:49h, einer Kilometerleistung von 24km, was einem Nettotempo von etwa 7 min/km und Bruttotempo von 8 min/km entspricht. Der Trick des Kraftsparens kommt dadurch zustande, dass man sehr frühzeitig mit kurzen Gehabschnitten beginnt, beispielsweise jede Runde 30 Sekunden gemütlich geht. Das passt oft nach dem Versorgungspunkt ideal. Achtung: Aufpassen, dass man am Versorgungspunkt nicht stehen bleibt und dadurch wertvolle Zeit verliert. Beim Gehen ist man etwa halb so schnell wie beim Laufen, daher sollte man nicht mehr als nötig gehen. Ideal wäre, wenn man im Laufe der Zeit die Gehabschnitte ausdehnen würde, aber sein Lauftempo über die gesamte Renndauer in etwa halten kann. Dann schafft man auch in den letzten drei Stunden über 20 Kilometer!

Je nach Leistungsvermögen kann es auch Sinn machen, nach 12 und 18 Stunden eine etwas längere Pause von ca 10 Minuten einzulegen. Das Wichtigste ist, eine Idee zu haben, wie man es anstellt, um auch noch in den letzten 6 Stunden mindestens noch einen Marathon zu laufen.

Die 6 Minuten pro 3 Stundenblock für „ungeplante Standzeiten“ sind für Toilettengänge, Umziehen oder kurzen Pausen am Versorgungspunkt geplant. Sie müssen aber nicht ausgeschöpft werden, sondern dienen dann als Leistungsreserve.

Spitzenläufer planen weder festen Pausen noch regelmäßige Gehabschnitte ein, sondern eher bedarfsweise kurze Gehabschnitte, Dehnübungen oder kurze Massagen, um die Eintönigkeit der Bewegung zu unterbrechen und Verspannungen zu lösen. Ganz ohne „Standzeiten“ geht es aber auch für sie nicht. Werte im Bereich von 30 bis 45 Minuten sind auch für Spitzenläufer üblich.

Leistungsschwächeren Läufern empfehle ich ebenfalls eine einigermaßen gleichmäßige Renneinteilung, bei der beispielsweise von der ersten Runde an, etwa die Hälfte gegangen wird. So kann man auch 6 bis 7 km pro Stunde schaffen, was durchaus für 150km reicht.

Fazit

Statistische Auswertungen zeigen klar, dass die meisten Teilnehmer bei einem 24h-Lauf in der zweiten Rennhälfte heftig nachlassen. Das kann an einer Überschätzung der eigenen Möglichkeit liegen oder an unüberwindbare Krisen. Auch wenn das üblich erscheint, so gilt als sicher, dass zu einem perfekten Rennen zwei etwa gleiche Rennhälften gehören, wobei idealerweise in der erste Rennhälfte nur 5% mehr Kilometer gelaufen werden als in der zweiten. Damit das gelingt, muss man planen und den Plan aufschreiben und sich natürlich auch an die Vorgaben halten. So steht dem Erreichen persönlicher Bestleistungen nichts mehr im Wege. Wichtig bei der Planung ist die Nutzung von Netto-Lauftempo, geplanten und ungeplanten Pausen.

Link: Texte zum 24h-Training

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