Laufgemeinschaft der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung e.V.

Text: Matthias Kröling, 7.5.2023

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Dietfurt an der Altmühl - Jahr für Jahr Homebase des Jurasteig Nonstop Ultratrail, Foto: Matthias Kröling

Lange habe ich hin und her überlegt, mit welchen Worten ich diesen Laufbericht starte. Damit, wofür die Abkürzung JUNUT (=JUrasteig Nonstop UltraTrail) steht? Dass der JUNUT mit seinen 239km auf dem Wanderweg „Jurasteig“ in der Fränkischen Alb im Jahr 2023 der längste Ultramarathon in Deutschland ist? Dass ich bereits im Herbst 2018 das erste Mal bei Gerhard Börner, der zusammen mit seiner Frau Margot den JUNUT organisiert, um eine Einladung gebeten habe und doch noch nie dort starten konnte? Dass ich ehrfurchtsvollen Respekt vor allen Finisher:innen habe, denen es gelungen ist, zwei Tage und zwei Nächte durchzulaufen? Dass ich mir den Lauf lange selbst nicht zugetraut habe und nun doch gemeinsam mit Désirée Sauren im beschaulich-idyllischen Dietfurt an der Altmühl am Start stehen werde? Dass ich in den Tagen zuvor kaum an etwas Anderes denken konnte und mir extra drei verschiedene Wetter-Apps aufs Handy geladen habe, um alle zwei Stunden die Vorhersage zu checken?

Oder starte ich mit Eindrücken aus meinem spärlichen Training? Von den zwei 70ern, die ich im Vorfeld gelaufen bin, bei denen es jeweils von der ersten bis zur letzten Sekunde regnete (immerhin guter Materialtest für die Regenjacke )? Oder von meinen Sorgen, gar nicht erst starten zu können, weil mich diverse Krankheiten und Verletzungen den Winter über nahezu komplett kalt gestellt haben? Ich könnte auch damit starten, dass ich eigentlich bei diesem Lauf nur starten kann, wenn dieser in den Schulferien stattfindet, weil ich sonst arbeiten muss. Oder dass ich dann trotzdem einen Tag Sonderurlaub gewährt bekommen habe, um bei einem potenziellen Finish am Sonntagnachmittag nicht am gleichen Abend nach 60 Stunden ohne Schlaf wieder nach Köln fahren zu müssen.

Nein, damit beginne ich den Bericht nicht. Ich überspringe auch das Briefing und die tolle Pasta-Party, bei der Jonathan Gakstatter, Dési und ich gemeinsam versuchten, uns als Newbies bei dieser Veranstaltung nicht kirre machen zu lassen von den Schilderungen über die schwierige Strecke und die vielen Höhenmeter.

Ich starte den Bericht einfach direkt am Morgen des Rennens, Freitag, 14. April.

Einschub: Die Startblöcke

Es gibt in diesem Jahr erstmals drei Startblöcke: Die ersten (und meisten) Läufer:innen starten um 9 Uhr, dann gibt es einen Start um 11 Uhr und die schnellen Hirsche starten um 15 Uhr. Da die schnelleren Läufer:innen uns langsameren über kurz oder lang einholen werden, bietet dieser versetzte Start dem Orga-Team die Möglichkeit, die Öffnungszeiten der Checkpoints nicht in alle Ewigkeit ausdehnen zu müssen.

Dési und ich starten in der 11 Uhr-Gruppe. Da es unser erster Versuch ist, haben wir schon Monate vorher überlegt, ob das die richtige Entscheidung war und ob es nicht vielleicht klüger gewesen wäre, das maximale Zeitfenster von 54 Stunden zu nutzen und in der 9 Uhr-Gruppe zu starten. Denn so, könnte man sagen, hätten wir bereits 2 Stunden Laufzeit verschenkt, ohne dass wir auch nur einen Schritt gemacht haben. Alle Überlegungen in dieser Richtung bleiben aber nur graue Theorie und mit einem Start am Freitag um 11 Uhr und dem Zielschluss am Sonntag um 15 Uhr bleiben uns genau 52 Stunden, um die 239km zu schaffen. Im Stillen denke ich mir: Wenn wir es nicht schaffen sollten, dann liegt es aller Voraussicht nach nicht daran, dass wir nicht genug Zeit hatten.

Kurz davor

Nach einer eher unruhigen Nacht wache ich lange vor dem Wecker auf.

Der Start um 11 Uhr bringt es mit sich, für alles bequem Zeit zu haben. Dési und ich wollen um 8:30 Uhr frühstücken und um 10:00 Uhr aus unserer Unterkunft, dem „Landgasthof Zum Wolfsberg“ (große, saubere Zimmer) aufzubrechen. Beim Frühstück sitzen wir zunächst zu zweit da, dann gesellt sich überraschend Tobias Krumm zu uns, der (natürlich!) erst um 15 Uhr starten wird. Dési und ich stellen uns ihm als Ersttäter:innen vor und ich versuche, Tobi Infos zu entlocken, die trotz des Klassenunterschieds zwischen ihm (Streckenrekordinhaber mit 29:34 h) und uns irgendwie nützlich sein könnten. Er erwähnt, dass die Strecke ab Kastl (Km 170) laufbarer würde und man dort etwas Tempo machen könne. Hm ja, das wollen wir mal sehen :-D Es ist für Dési und mich schwierig, sich durch die Anwesenheit und im Plausch mit dem austrainierten Top-Läufer nicht verunsichern zu lassen. Und so beenden wir dann auch bald das Gespräch und ziehen uns zurück für die direkten Laufvorbereitungen.

Um kurz nach 10 Uhr ist unser Aufenthalt im Mühlbach schon vorbei und wir fahren mit dem Auto die drei Kilometer nach Dietfurt, parken auf dem Festplatz und wandern mit unserer Laufausrüstung, sowie den Dropbags Richtung Schule. Hier beantwortet sich dann meine Frage, ob ich schon mit einer Regen- oder doch ganz optimistisch mit einer Windjacke starten solle, nach einem kurzen Austausch mit Christoph Janthur. Er weist mich daraufhin, dass es hier unten im Tal ganz angenehm sei, das könne der Wind auf den Höhen aber ändern. Alles klar, also lieber kein Risiko eingehen und die Regenjacke direkt anziehen. Unter anderem für diesen Lauf habe ich sie ja auch gekauft. Dann schlendert Jonathan uns entgegen und wir nutzen die Zeit für ein Foto vor dem Start. Mit den 15 Uhr-Starter:innen will ich ehrlich gesagt nicht tauschen – die müssen jetzt irgendwie die Zeit rumkriegen und dann hat man doch sofort das Gefühl, gehetzt zu sein oder nicht?

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Wenige Minuten vor dem Start der 11 Uhr-Gruppe: (v.l.) Désirée Sauren, Matthias Kröling, Jonathan Gakstatter (Starter in der 15 Uhr-Gruppe), Foto: Matthias Kröling

Völlig entspannt gehen wir zum Start. Ich bin regelrecht gelöst. Alles, was ich tun konnte, habe ich getan so gut es eben ging. Die Vorbereitung war nicht optimal, aber ist vielleicht gerade so ausreichend. Ich bin gesund. Noch regnet es nicht. Ich habe viele Menschen zu Hause sitzen, die an mich denken und für mich beten – was will ich mehr?

Die Minuten bis zum Start vergehen relativ fix, Gerhard sagt noch irgendetwas ins Mikro, was ich aber nicht verstehe. Dann der Bürgermeister mit dem Startschuss und es geht los.

Etappe 1/13: Dietfurt bis Riedenburg (26,6 km)

Gemeinsam mit uns 239ern starten auch die 170er und 104er aus der 11 Uhr-Gruppe. Bereits nach zweihundert Metern bilden Dési und ich beinahe das Schlusslicht, nur noch ein Läufer ist hinter uns. Ja, warum laufen die denn wie die Bekloppten los? Ich kann es mir nicht erklären, es will mir nicht in den Sinn. Dési und ich lassen uns davon allerdings nicht beirren und folgen dem Strom durch die Gassen von Dietfurt. Der erste Km ist nach 6:18 min geschafft und für mich damit der Beleg, dass wir keinesfalls zu langsam sind, sondern alle anderen eher zu schnell. Naja, die werden schon wissen, was sie tun. Nach zwei Kilometern muss das erste Mal die Bekleidung angepasst werden und der bis dahin letzte Läufer überholt uns. Super, jetzt können wir es gemütlich angehen lassen. Hier rollt es doch echt gut, Dési und ich sind beide überrascht, wie viel „Laufbares“ hier doch ist. Bevor wir uns zu viel freuen, kommt ein heftiger Anstieg, gefolgt von einem ebenso kaum laufbaren Abstieg. Bereits jetzt erweisen sich die Poles von großer Bedeutung. Es besteht gerade bei steilen Abstiegen ein kleiner, aber wichtiger Unterschied, ob man die Schuhe ins Ungewisse vor einem fallen lässt oder ob man sich dabei noch auf die Stöcke stützen kann.

Der erste Abstieg ist gemeistert und eine Stunde Lauf mit etwa 7 km ist rum. Nun wieder ein paar flache Abschnitte durch die Dörfer Meihern und Deising, an dessen Ausgang uns der Eselsteig hinauf zum Roßkopf erwartet. Hier bleibt mir zum ersten Mal die Puste weg. Boah, ist das steil! Oben angekommen erstmal kurz sammeln. Ab hier sind auf einer Länge von etwa 40 km die Wanderwege Jurasteig und Panoramaweg Altmühlweg identisch. Auf der Höhe können wir es wieder etwas rollen lassen und laufen sogar mal zwei Kilometer „flach am Bach“ (aka Main-Donau-Kanal), bevor uns nach 20km hinter Gundlfing der Aufstieg zum Teufelsfelsen erwartet. Die Höhenmeter sind wirklich ‚teuflisch‘ schwer, es ist einer jener Anstiege, bei denen man lieber nicht schaut, wie weit es noch ist, sondern sich einfach nur auf den nächsten Schritt konzentriert. Aber auch hier ist es bald geschafft und Riedenburg ist nun nicht mehr weit.

Ich freue mich, dass es immer noch nicht regnet.

Wir erreichen den ersten Verpflegungspunkt in Riedenburg nach 3:37 h Laufzeit (sagt jedenfalls später Legendstrail). Dési füllt ihre Trinkblasen auf, während ich die Zeit nutze, um Schmalzbrote zu essen und alkoholfreies Weißbier zu trinken. Was auch nicht fehlen darf: Ich lüfte Schuhe und Socken, säubere meine Füße und fette sie erneut mit Vaseline ein. Oberste Maxime: Die Füße müssen, so lange es irgendwie geht, top gewartet werden – ich bin auf ihre Funktionstüchtigkeit angewiesen und tue daher alles, um sie einwandfrei zu halten. Tatsächlich soll es ja Läufer:innen geben, die während solch eines Laufs kaum mal die Schuhe ausziehen, geschweige denn die Socken wechseln. Auf dieser Seite kann ich definitiv nicht vom Pferd fallen.

Nach knapp 10 bis 15 Minuten Pause geht es weiter.

Etappe 2/13: Riedenburg bis Kelheim (24,1 km)

Fluffige Trails im Wald, beinahe ohne Höhenmeter, so startet diese Etappe. Wundervoll! Schon nach kurzer Zeit allerdings die „Drohung“, dass bald eine schwierige Passage folgen würde, „nur für geübte Wanderer“ sei diese. Die Klamm naht. Bevor wir dort richtig angekommen sind, wurschteln Dési und ich uns durch die ersten ernstzunehmenden Schlammstellen des Tages. Sofort merke ich, dass ich hier eher vorsichtig durchwatschele, immer bedacht darauf, möglichst festen Halt unter den Füßen zu haben, während Dési sich von dem ganzen Matsch nicht beeindrucken lässt und einfach immer geradeaus dadurch läuft. Auch, dass sie beim Bergablaufen einfach weniger ängstlich ist als ich, kommen dadurch doch immer zügig einige Meter Abstand zwischen uns. Und so stellt es sich auch für ein gutes Stück der nächsten Zeit unseres gemeinsamen Abenteuers da: Geht es steil bergauf, marschiere ich voraus, geht es steil bergab, federt Dési an mir vorbei. Ebene Passagen laufen wir nach Möglichkeit nebeneinander.

Die Klamm ist so, wie es sich für eine Klamm gehört: steile Stufen rauf und runter, glitschige Steine, jede Menge Möglichkeiten zu stürzen, mühsame Meter und doch wunderschön. Die Aussicht sparen wir uns dieses Mal (wie eigentlich jedes Mal), aber sie ist bestimmt toll. Bergab ist es dann die reinste Schlammpartie und ich bin einfach nur dankbar, dass ich die Stöcke dabei habe. Zwar ist das Profil meiner Hoka Speedgoat gar nicht so schlecht, aber in diesem tiefen Matsch kriege ich kaum Halt. Heißt es bei der TorTour de Ruhr „dein Team bringt dich da durch“, besteht mein Team – neben Dési natürlich – vor allem aus zwei auf 125cm Höhe eingestellten Aluminium-Stecken. Zwei durch und durch verlässliche und gleichermaßen anspruchslose Zwillinge, ohne die das Sturzrisiko um ein Vielfaches erhöht wäre.

Dann ist es geschafft, wir sind unten. Kurz die Altmühl überquert und wieder hinauf zu Schloss Prunn. Die nächsten Kilometer sind eher unauffällig und erlauben uns, etwas für unsere Pace zu tun. Über die Tatzwurm-Brücke, ein charakteristisch geschwungenes Holzbauwerk, geht es abermals über die Altmühl und nach knapp 41 km erreichen wir den Keltenwall, dem wir für knapp 3 km folgen. Ich habe versucht zu recherchieren, was es mit dem Keltenwall auf sich hat, aber bin nicht fündig geworden. In meiner Vorstellung laufen (ehrlicherweise: wandern) wir aber hier auf den Relikten einer vor 2000 Jahren angelegten Aufschüttung mitten im Wald. Und in meinem Kopf spielen sich noch ganz andere Szenen ab, da balancieren wir minutenlang auf der Wirbelsäule eines gigantischen Dinosauriers oder Drachens, welcher hier seit zigtausenden Jahren im Wald rumliegt. Nun ja.

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Foto: Matthias Kröling

Nach einigen Kilometern sind wir nicht nur am Ufer der Donau angekommen, sondern es ist auch klar, dass wir ihrem Lauf bis nach Kelheim folgen werden. Das bedeutet: „flach am Bach“ bis zum nächsten VP. Herrlich einfache Kilometer, wunderschön wilde Natur! Vor lauter Freude rutscht uns doch tatsächlich ein Kilometer knapp unter 6 min durch, vielleicht hat die Uhr aber einfach auch nur hyperventiliert. Wir schaffen 49 Kilometer in exakt 7:00 Stunden und befinden uns damit brutto immer noch bei 7km/h. Mittlerweile haben wir auch ab und zu ein paar Läufer:innen eingeholt und überholt. Alles andere wäre auch unerklärlich gewesen, denn unser Tempo ist wirklich okay und nicht zu langsam.

In Kelheim trotten wir durch die Innenstadt und gelangen nach 7:15 h Laufzeit an den zweiten Verpflegungspunkt. Hier fülle ich zuerst meine Wasserblase und meine beiden Trinkflaschen auf einer öffentlichen Toilette am VP mit Wasser auf. Dann schaue ich am Buffet, was es dort gibt und mir wird eine Brühe mit Nudeln angeboten: Oh ja, gern, danke! Im Übermut öffne ich mir eine 0,5l-Flasche alkoholfreies Weißbier und sage zu Dési, dass ich erst weiterlaufen könne, wenn ich diese ausgetrunken hätte. Glücklicherweise ist es überhaupt nicht warm, sondern würde der Flüssigkeitsmangel noch etwas mehr ins Gewicht fallen. Ich muss darauf achten, mehr zu trinken. Mit der Flasche Bier und dem Becher Brühe setze ich mich auf eine Bank und dann beginnt das Fußreinigungsritual von vorn.

Etappe 3/13: Kelheim bis Matting (27,8 km)

Nun folgt die längste Etappe und das Einlaufen ist vorbei. Theoretisch sollen aber auch die zwei schwersten Etappen nun schon hinter uns liegen. Dies zu prüfen werden wir noch ausreichend Gelegenheit haben in den nächsten Stunden und Tagen.

Wir bahnen uns unseren Weg durch Kelheim und sobald der Ort hinter uns liegt, geht es natürlich wieder direkt bergauf. Dieses Mal einen Kreuzweg. Es geht weiter munter durch den Wald auf Trails und Waldwegen. Schließlich spuckt uns der Wald nach ca. 58 km aus und wir durchqueren eine Höhenlage. Das Örtchen Lindach einsam rechts von uns gelegen erinnert mich daran, warum ich doch auch immer noch gern in einer Großstadt wohne. Hier ist wirklich der Hund begraben und wir haben doch erst gerade mal etwa 19:30 Uhr. Andererseits könnte ich auch die (Todes-)Stille hervorheben, hier kann man bestimmt prima abschalten. Und eigentlich machen wir auch genau das gerade. Das Laufen ist (noch) nicht anstrengend, wir dackeln so vor uns hin und unsere größte Sorge ist momentan, dass wir bald nix mehr sehen, weil es zu dunkel wird. Doch dafür gibt es ja Stirnlampen. Kurz vor Kapfelberg kommt uns ein Mann entgegen, der sich aber nicht als irgendein lokaler Spaziergänger entpuppt, sondern als Patric Wurmbach. Wir begrüßen uns kurz und herzlich, dann geht’s weiter, wir wissen irgendwie alle, dass wir uns noch öfter sehen werden. In Kapfelberg selbst legen wir dann eine kurze Pause ein und machen uns bereit zur Nacht. Ich habe so einen Hunger, dass ich direkt erstmal drei Riegel esse.

In meiner Erinnerung fängt es dann auch mal ein bisschen zu regnen an, aber vielleicht stimmt das auch nicht. Ich bringe es nicht mehr zusammen. Jedenfalls – wenn es tatsächlich geregnet hat, dann war es auch nur ein Nieselregen und nicht sonderlich störend. Insgesamt ist das Wetter okay, die etwas größere Regenjacke stellt sich auf jeden Fall als die richtige Wahl heraus, da sie auch etwas winddichter als meine herkömmliche Windjacke.

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Foto: Désirée Sauren

Wir erreichen Bad Abbach nach knapp 70 Kilometern und nun, nach 21 Uhr, ist auch hier die Innenstadt überwiegend verlassen. Ein paar Nasen hängen vor den Kneipen herum und schauen uns interessiert an, wir grüßen freundlich. Dann liegt Bad Abbach auch schon wieder hinter uns. Bis Matting passiert hier nicht mehr viel, aber als wir dort im Gerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr um ca. 22:40 Uhr eintreffen, steppt der Bär.

Überall Läuferinnen und Läufer, auf den Bänken, an den Tischen, mit ihren Taschen und Gerümpel. Wir riechen backfrische Pizza und fühlen uns direkt sauwohl. Andreas Amberger, ein Starter aus der 9 Uhr-Gruppe, versucht ein Gespräch mit mir zu beginnen, aber ich wimmle ihn ab. Muss erstmal selbst hier meinen Kram sortieren und meine ToDo-Liste für diesen VP ist lang, denn hier gibt es Dropbags. Also erstmal eine Flasche alkoholfreies Weißbier öffnen, währenddessen ein paar Pizza-Stücke bunkern. Ich bringe auch welche für Dési mit. Dann geht’s los: den Dropbag öffnen, welchen ich beim Packen gerade noch so eben schließen konnte, ohne dass die Nähte reißen. Die Batterien meines GPS-Geräts (Dakota 20) hatten sich passenderweise ein paar Minuten vorher verabschiedet und werden mit Batterien aus dem Dropbag gewechselt. Die Uhr wird ans Ladekabel der Powerbank gehängt. Die Ersatzbatterien im Laufrucksack bleiben unangetastet, die werden noch zu ihrem Einsatz kommen. Dann Beutel mit Wechselwäsche aufreißen und Kurz- und Langarm-Shirt wechseln. Nun Nase zu halten, denn die Socken werden gewechselt. Füße sind noch frisch wie Babyhaut, so soll das sein, noch keine Anzeichen von einer Blase oder wunden Stellen. Alles schön einfetten und neue Socken drüber. Währenddessen immer schön fleißig weiter Bier trinken, damit auch rein kommt, was rein muss. Mir gegenüber sitzt plötzlich ein Läufer, der einen überaus frischen, absolut unverbrauchten Eindruck macht. Wer kann das sein? Ich lese später nach, dass es Stefan Bergler sein muss, ein 170er, der um 15 Uhr gestartet ist. Meine Güte, der hat nicht mal 8 Stunden für die 78 km gebraucht! Wahnsinn.

Während unseres knapp 35-40minütigen Aufenthalts leert sich der Raum zunehmend, eine erste Rush Hour scheint vorbei. Irgendwann sind dann Dési und ich auch wieder soweit, bedanken uns artig bei den Helfer:innen für den tollen Support und geben unsere Dropbags für die nächste Station ab (Km 138). Ich ärgere mich ein wenig über meine Uhr, denn die hat keine Pause, sondern fleißig weiter Strecke gemacht, obwohl wir uns nur ein paar Meter im Gebäude hin und her bewegt haben. Die Uhr steht jetzt, als wir das Gerätehaus verlassen, schon bei 80 km. Egal, nicht so viel ärgern, zähle ich also die Km bis zum nächsten VP ab jetzt.

Etappe 4/13: Matting – Schönhofen (10,0 km)

Als wir gerade aus dem Haus gehen, läuft schon wieder ein Läufer ein, der unverschämt frisch aussieht. Es ist Tobi Krumm. Na, dann ist jetzt ja auch klar, wer die 239er anführt (und vermutlich auch gewinnen wird). Wir grüßen ihn, aber er erkennt uns nicht in der Kombination aus Dunkelheit einerseits und blendender Stirnlampe andererseits.

Dafür kommt direkt ein absolutes Highlight des Laufs, denn wir werden von einem Motorboot der Freiwilligen Feuerwehr Matting über die Donau gesetzt. Kurz müssen wir warten, weil das Boot gerade ablegt, als wir ankommen, doch nach ein paar Minuten Frierens setzen wir dann an das ca. 100 Meter entfernte Ufer über. Sowas hatte ich noch gar nicht, coole Sache. Natürlich jede:r mit Rettungsweste, ist klar.

Es liegen „nur“ 10 km vor uns, aber es sind auch beinahe 500 Höhenmeter dabei, also sollten wir uns nicht täuschen lassen. Durch eine Baumaßnahme der Deutschen Bahn können wir den eigentlich ausgeschilderten Bahnübergang nicht nutzen, sondern müssen eine Umleitung nehmen. Doch Gerhard meinte im Vorfeld, dass es zwar eine Umleitung, jedoch kein Umweg sei. Na gut, dann testen wir es mal. Zunächst geht es auf einem Schotterweg „flach am Bach“ schnurgeradeaus, doch wir brauchen ein wenig, um ins Rollen zu kommen. Und kaum gelingt dies, ist’s vorbei mit flach. Nach einer 180°-Kehre geht es nun auf einer Asphaltstraße unendlich lang den Berg hoch. Die Stöcker unterstützen den Rhythmus und klackern auf dem Teer.

Vor uns sind einige Lichtkegel, der Abstand bleibt aber gleich. Nach einigen Minuten des Bergauf-Trottens kehren die Kegel plötzlich um und kommen uns entgegen. Nanu? Ein Blick auf das Navi verrät, dass sie an einer Kreuzung, an der der Track abbiegt, vorbei gegangen sind. Nicht das erste Mal denke ich bei diesem Lauf: Wann hätten Dési und ich wohl gecheckt, dass wir falsch sind, weil wir einfach anderen Läufer:innen hinterher gehen? Aber der Verlaufer der Anderen hält sich in Grenzen und gemeinsam geht es weiter bergan, nun nicht mehr auf Asphalt, sondern im Wald. Irgendwie beginnt es sich nun schon zu ziehen. Nachts verengt sich der Blick auf die paar Meter Lichtkegel der Stirnlampe vor einem. Sollte die Landschaft hier auch großartig sein, wir kriegen nichts davon mit. So kann ich auch nichts mehr wirklich aus der Erinnerung an diesen Abschnitt abrufen und schaue immer wieder auf meine Uhr.

Zehn Kilometer nur soll der Abschnitt lang sein. Da, eine Laternen, eine Siedlung! Da muss der nächste VP sein. Wir laufen auf Eilsbrunn zu, hindurch und wieder hinaus – kein VP. Es kommt uns nun irgendein Wanderer entgegen, der uns mahnt, doch beim Abstieg zum VP vorsichtig zu sein, die Wiese sei richtig seifig. Abstieg??? Gerade geht es doch erstmal wieder hinauf, obwohl die 10km doch schon hinter uns liegen. Naja, man wird es schon sehen. Also die Wiese hinauf, das geht nur ganz mühsam, weil es hier wirklich teilweise ausgesetzt ist. Irgendwann werde ich unruhig und meine zu Dési nach 11 gewanderten Kilometern, dass der VP längst hätte kommen müssen. Doch wir sind noch voll auf dem Track und vor uns sich auch einige Stirnlampen zu sehen. Hilft also nix, weiter geht’s. JETZT geht’s dann tatsächlich bergab und zwar nicht zu knapp. Es ist so rutschig und schlammig, dass ich wütend werde. Was soll der Scheiß eigentlich hier? Statt 10 km sind es 12 km und dann sollen wir auch noch dieses irre Stück Wiese hinunter, wo jeder falsche Schritt der letzte sein kann? Oh man ey, was für ein Mist.

Doch auch dieser zähe Abstieg ist irgendwann vorbei, wir landen auf dem Asphalt und joggen noch ein kleines Stück zum nächsten VP, den wir gegen 00:30 Uhr erreichen.

Hier im Sportheim ist es muckelig warm und ich spüre die Versuchung, die von nun an regelmäßig kommen wird: Einfach Kopf auf den Tisch und pennen, das Leben könnte so schön sein. Stattdessen trinke ich ein wenig Cola, um mit Hilfe des Koffeins die Müdigkeit zu überlisten. So richtig Hunger und Durst habe ich allerdings nicht, nehme kaum sonst etwas zu mir, was sich später noch rächen wird. Nach 15-20 Minuten verlassen wir auch dieses warme Haus und begeben uns mit Christoph Wurm, der sich uns lose anschließen möchte, wieder hinaus in die kühle Nacht.

Etappe 5/13: Schönhofen – Pielenhofen (15,2 km)

Im Briefing vor dem Lauf wurde erwähnt, dass es unbemannte Checkpoints auf der Strecke geben würde. Hier liegen Armbändchen bereit, von denen sich jede:r Läufer:in eins mitnehmen sollte. Könne man die benötigte Anzahl an Armbändchen beim Finish nicht vorweisen, hätte dies Zeitstrafen (1 Band = 30 min Zeitstrafe) zur Folge. Für die 104er gäbe es ein Armband, für die 170er zwei und für uns 239er sogar drei Armbänder. Da wir uns nun auf der letzten Etappe bis zum Ziel für die 104km-Läufer:innen befanden, wurde daher automatisch die Frage immer größer: Wo bleibt dieser Checkpoint?? Dass wir ihn bisher verpasst hatten, war mehr als unwahrscheinlich. Wir waren immer streng dem Track gefolgt und Gerhard hatte uns beruhigt, dass man diese unbemannte Kontrolle auch nachts sehr gut sehen konnte. Also galt auf dieser Etappe aber umso mehr: Augen auf.

Zunächst ging es auf Asphalt ein wenig bergauf und dann bergab, was meine Füße mittlerweile schon sehr zu schätzen wussten. Am Uferweg der Naab in Etterzhausen standen wir dann von jetzt auf gleich am Checkpoint, nahmen unser Bändchen und trabten weiter.

An die folgenden Kilometer durch den Wald habe ich kaum noch Erinnerung, habe mir aber gemerkt, dass ich besonders bei abfallenden Passagen ein flaues Gefühl in meinem Magen zu spüren war. Ha, zu wenig gegessen und getrunken! So schnell der Befund kam, so wenig konnte oder wollte ich dagegen tun. Ich hatte keinen Hunger und trank Wasser auch nur noch in kleinen Schlucken.

Nach vielen Waldkilometern (und vermutlich auch viel auf und ab) kamen wir wieder an die Ufer der Naab in Pielenhofen an. Immerhin schon dreistellig. Noch ein wenig durch den Ort gewandert, wann kommt denn jetzt endlich der Verpflegungspunkt, weiter watscheln, aah, da ist ein JUNUT-Hinweis und dann sind wir da.

Der VP ist eher beengt, die Garderoben einer Turnhalle, welche ich allerdings nicht betreten habe. Trotzdem sehr schön hier und wie an allen VPs: wahnsinnig nette Helferinnen und Helfer. Überhaupt muss ich das mal kurz erwähnen, denn ich habe ja schon einige Läufe mitgemacht. Aber hier habe ich das Gefühl, an jedem VP von jemanden betreut zu werden, der entweder schon selbst den Lauf gelaufen ist oder sich nichts schöneres vorstellen kann, als uns hier nachts um vier Uhr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Mega cool, vielen lieben Dank für alles. Absolut ausnahmslos tolle Leute.

Auch hier bekomme ich Brühe, schütte mir Cola in einen Becher und nehme mir einen halben Liter alkoholfreies Weißbier. Durst habe ich keinen, eher im Gegenteil, aber es muss ja rein, ich muss wieder zu Kräften kommen. Ich zwinge mir ein einige tiefe Schlucke Bier hinein und will mir gerade etwas zu essen suchen, da wird mir ganz anders. Dieses Gefühl, wenn der Magen mehr rotiert als er sollte. Was soll denn diese Rebellion? Hilft nichts, ein paar Meter zum Klo gewankt und schon kommt das Bier wieder auf dem gleichen Weg heraus, auf welchem es in den Magen hineingelangte. Leider nicht nur das Bier, sondern auch das wertvolle bisschen Essen, das sich dort noch befand. Einerseits: Mist. Andererseits geht es mir nach diesem kurzen Intermezzo sofort besser und mir ist klar, dass dies der erste Schritt ist, um das flaue Gefühl im Magen loszuwerden. Was kommt nun hinein? Ich berichte Dési von der Situation und dass ich noch ein paar Minuten länger brauche, damit sich mein Magen kurz beruhigen kann. Irgendwo finde ich eine Brezel, von der ich mir ein paar Brocken abbreche und schlürfe in kleinen Schlucken meine Brühe. Das sind schon eher die richtigen Zutaten, so kann es gehen!

Noch mal in Ruhe die Füße einfetten und dann geht’s nach knapp 30 Minuten Aufenthalt wieder los.

Etappe 6/13: Pielenhofen – Dallackenried (12,9 km)

Es ist dunkel und kalt. Wir wandern los und fallen wohl ab und zu in eine Art Laufschritt.

War ich bisher kaum müde, so kommt langsam mein schwacher Punkt: Je näher wir der Dämmerung kommen, desto zäher wird es. Ich gähne hin und wieder herzhaft.

Von der Landschaft bekommen wir jetzt, kurz nach fünf Uhr morgens, immer noch nichts mit. Merklich heller wird es um diese Jahreszeit erst, wenn es steil auf sechs Uhr zugeht. Und sowohl die Zeit, als auch die Kilometer ziehen sich jetzt wie Kaugummi.

An dieser Stelle schält sich für mich ein enormer Vorteil des gemeinsamen Laufens heraus. Allein würden meine Schritte nun kürzer und langsamer werden, ich begänne zu schlurfen, vielleicht sogar zu torkeln und irgendwann würde mein Kinn auf die Brust und meine Augen zu fallen. Der allseits bekannte Sekundenschlaf hätte mich in seinen Fängen. Doch dazu kommt es nicht. Ich bin zwar müde, aber Dési ist fit. Ich muss nichts weiter tun, als an ihr dran zu bleiben. Sie marschiert unbeirrt mit 6 km/h vor mir. Nur dran bleiben! Nicht abreißen lassen. Bleib draaaaan. Es wird zu meinem Mantra: Bleib dran, bleib dran, bleib an ihr dran, verdammt noch mal. Auch mein Stockeinsatz hilft, den Rhythmus zu halten. Durch das Nutzen der poles erreiche ich eine aufrechtere Körperhaltung als ich vermutlich sonst um diese Uhrzeit hätte. Es ist nun fast ein Ganzkörpersport, alle vier Gliedmaßen sind gefordert, das Hirn sowieso.

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Foto: Matthias Kröling

Nun läuft es für einige Kilometer so: Dési marschiert einfach vornweg. Der Untergrund, irgendein Trail, der auch gern mal steil zur Seite abfällt, erlaubt es mir in meinem Zustand nicht zu joggen. Also muss ich gehen, bin aber nicht so fix wie Dési. Der Abstand wird größer. Erst 10, dann 20, dann 50 Meter. Ich muss dran bleiben, muss dran bleiben, dran bleiben. Sobald es irgendwie geht, hoppele ich ein paar Meter vorwärts. Ist das dieser Ultraschlappschritt, von dem ich immer lese? Dann wird mein Abstand zu Dési in Zeitlupentempo kürzer, nur noch 30 Meter, dann nur noch 10 Meter und als ich direkt hinter ihr bin, wechsele ich wieder in den Wander-Modus. Bereits nach einer halben Minute ist der Abstand wieder gewachsen.

Weiter, immer weiter.

Dann wird das Schwarz um uns herum etwas heller, wird zu einem Grau, das uns Konturen auch ohne Lampe erkennen lässt.

Der Tag kommt. Der Regen auch. Er setzt ein, als es hell wird. Ich bin zwar nicht begeistert, finde es aber irgendwie fair, dass es erst in dem Moment regnet, wo wir wieder ein bisschen was sehen können. Beides auf einmal wäre übel.

Wir laufen auf eine Anhöhe zu, auf der eine Siedlung liegt. Hier muss auch gleich wieder der nächste VP sein. Doch vorher noch mehr Regen, dazu Wind. Es ist die ungemütlichste Situation des bisherigen Wettkampfs. Hier auf der Anhöhe in den Feldern, ohne Wald, sind wir dem Wetter im wörtlichen Sinne schutzlos ausgeliefert. Und es reicht wohl nicht, dass das Wasser von oben kommt, jetzt durchlaufen wir ein saftiges Stück Wiese und sofort sind die Socken nass. Oh je. Wenn das Ganze etwas Gutes hat: Ich fühle mich wieder total wach, von Müdigkeit absolut keine Spur mehr.

Gerade als ich überlege, ob wir auszukühlen drohen, erreichen wir um kurz nach 7 Uhr morgens die nächste Verpflegungsstation. Es ist das Feuerwehrgerätehaus von Dallackenried. Sofort umfängt uns wohlige Wärme. Es ist ein Segen, nicht mehr länger dem Regen und dem Wind ausgesetzt zu sein. Knapp ein halbes Dutzend Läuferinnen und Läufer versorgen sich hier. Die meisten von ihnen wechseln hier ihre Kleidung und ziehen sich trockene Sachen an. Ich bin beeindruckt, wie vorausschauend die meisten Leuten ihren Rucksack gepackt haben, denn eine Dropbag-Station, an der alle quasi aus dem Vollen schöpfen können, ist dieser VP nicht.

Welche Möglichkeiten habe ich denn so? Ich öffne meinen Rucksack und begutachte den Inhalt. Zu finden sind ein Paar Socken, ein longsleeve und ein paar Handschuhe. Alles trocken im Zip-Beutel aufbewahrt, immerhin.

Nach einem längeren Gang zur Toilette folgt wieder das übliche Ritual mit einfetten, Socken wechseln, dann wird das longsleeve an strategisch schlauer Position im Zwiebellook am Körper platziert. Hm, schon ein bisschen besser, aber mir ist immer noch kalt.

Wer kommt denn da herein? Es ist Jonathan – in kurzer Hose. Wow. Ich freue mich unheimlich, ihn wieder zu sehen! Wir tauschen uns kurz aus. Erst jetzt wird mir klar, dass es nicht Tobi ist, der uns als erster 239er überholt, sondern Jonathan. Was da wohl los ist? Ich frage Jonathan, ob er wisse, wo Tobi sein. Er antwortet mit einer weit ausholenden Handbewegung, dass dieser weit vor ihm sein müsse. Hm, da bin ich mir nicht so sicher. Er hat uns ja definitiv nicht überholt.

Nach einer schönen Tasse Kamillentee und einer trockenen Scheibe Graubrot (beides top für den Magen!) seufze ich innerlich ein paar Mal. Draußen regnet’s, aber ausnahmslos alle wissen, dass es nix hilft – wir müssen wieder raus.

Also dann. Alles wieder regensicher verpacken, ein Stück Wärme packe ich mir in Gedanken ein. Dési, Jonathan und ich verlassen gemeinsam den Zufluchtsort und treten wieder hinaus ins Freie, in den Regen.

Kaum sind wir draußen, schlägt Jonathan einen lockeren Laufschritt an und ist schon nach wenigen Minuten aus unserer Sicht verschwunden.

Etappe 7/13: Dallackenried – Schmidmühlen (21,9 km)

Es regnet, den Wind spüren wir aber noch deutlicher. Ich bitte Dési darum, so schnell es geht vom Wander- in den Laufschritt zu wechseln. Wir müssen runter von dieser Anhöhe und so schnell es geht in den Wald, bevor die Vorteile der Pause innerhalb von Minuten wieder zunichte gemacht sind.

Glücklicherweise geht es auf einem Landwirtschaftsweg bergab, den stetig wachsenden Pfützen können wir kaum noch ausweichen.

Auch an diese Etappe habe ich wenige Erinnerungen. Ich bin allerdings wieder hellwach, die schwache Müdigkeitsphase von vor zwei Stunden ist abgeschüttelt. Jetzt also etwa 22km. Es wäre doch wirklich gut, dies in vier Stunden zu schaffen, das wäre inklusive allen Pinkelpausen, Orientierungsphasen, Riegel essen und natürlich inklusive allem bergauf und bergab ein Tempo von 5,5 km/h. Das klingt lächerlich wenig, aber die Ansprüche sinken nun mal mit der Dauer des Laufs. Jetzt, wo es hell ist und wir nicht mehr jeden einzelnen Schritt sorgfältig ausleuchten müssen, könnten wir auch 6 km/h schaffen. Wie wäre es, wenn wir um 11 Uhr bei Km 138 wären? Das wäre doch wirklich gar nicht so verkehrt. Dann vielleicht noch mal 24 Stunden für die verbleibenden 101 km…? Es fällt mir schwer, mich von diesen Rechenspielchen zu lösen. Die Verführung, bereits jetzt auf das Ende hin zu denken, ist einfach sehr groß. Es spricht aber nahezu alles dagegen, besonders wenn ich mir vor Augen halte, dass es zunächst erstmal wieder einen ganzen Tag dauert. Dann wieder eine ganze Nacht und dann noch mal viele Stunden des Sonntags. Ich versuche also, diese Gedanken von mir fernzuhalten.

Alle paar Minuten ertönt nun ein dumpfer Knall. Wo kommt das denn jetzt her? Jäger auf der Jagd? Nee, das klingt irgendwie anders. Ich habe zwar absolut keine Ahnung, aber das Donnern klingt mehr nach Kanone als nach Gewehr. Dann kurze Erinnerung, dass wir auf diesem Teil des Jurasteigs ja an einem Truppenübungsplatz vorbeilaufen. Die werden doch wohl nicht Samstagvormittag mit Kanonen schießen, haben Soldaten nicht auch ein Recht auf Wochenende? Zu dem dumpfen Donnern gesellt sich nun auch das Rattern eines Maschinengewehrs. Da ich selbst Zivildienst absolviert habe, kann ich eigentlich nur vermuten, dass es sich um ein solches handelt. Egal, es ist jedenfalls eine Abwechslung fürs Ohr.

Im Briefing wurde uns gesagt, dass die Entfernungsangaben, die auf den Jurasteig-Schildern die Abstände zwischen den einzelnen Orten auf dem Wanderweg anzeigen, nicht zuverlässig seien. Als wir ein Schild sehen, auf dem „Schmidmühlen in 3,7 km“ sehen, kann ich nur hoffen, dass das auch stimmt. Gefühlt laufen wir seit einer Ewigkeit durch den Wald. Es ist wirklich schön hier, aber wir wollen doch trotzdem gern mal ankommen. 3,7 km sind also immer noch etwa 45 Minuten.

Ich werfe einen Blick auf die Uhr, um das zu checken. Ein toter Bildschirm schaut zurück. Akku leer. Naja, dann halt nicht. Ist eh ein unzuverlässiges Ding gewesen mit dieser GPS-Ungenauigkeit an den VPs. Vielleicht ist es doch ganz gut, dass das Ding jetzt nicht mehr läuft, dann kann ich mich auch nicht mehr von den Kilometerangaben kirre machen. Entschleunigung und so.

Im Briefing wurde auch gesagt, dass der nächste VP zwar in Schmidmühlen sei, doch wir sollten uns beim Anblick des Ortes nicht täuschen lassen. Zunächst müssten wir durch den ganzen Ort hindurch, bevor wir dort hin gelangten. Genauso kommt es dann auch. Irgendwann sehen wir Dächer, dann Straßen und Laternen, halt alles, was die menschengemachte Zivilisation auszeichnet. Aber der Sportplatz, zu dem wir müssen, ist erst ganz am Ende auszumachen. Aber macht nichts, immerhin gibt es ein sichtbares Ziel.

Wir joggen noch ein wenig. Der Regen wird weniger, das ist doch auch mal was.

Um 11:12 Uhr erreichen wir den VP 7 nach 138,5 km. Knapp über 24 Stunden, alles gut.

Im geräumigen Sportheim erwarten uns nicht nur unsere Dropbags, sondern auch eine feine Gemüsesuppe. Bewaffnet mit Suppe und Bier suchen Dési und ich uns Plätze, was glücklicherweise kein Problem darstellt, gerade ist nicht so viel los. Sogar ein Unterhaltungsprogramm gibt es: das live-tracking von LegendsTracking ist mit einem Beamer an die Wand geworfen, so wissen immer alle im Raum, wann welcher Läufer/welche Läuferin wo im Rennen ist. Wir erfahren, dass Tobias Krumm ausgeschieden ist. Krass, der war doch richtig fit?! – Jedenfalls in den fünf Sekunden, während wir ihn gesehen haben vor 12 Stunden. Tatsächlich, so erzählt man uns, sei er aber auch in Matting ausgestiegen. Hm. Schade. Aber dann ist Jonathan Erster! Mega!

Hier lässt sich gut Pause machen. Niemand um uns herum scheint es eilig zu haben, von dieser Ruhe lasse ich mich gern anstecken. Also, alles gaaanz in Ruhe: essen, trinken, Vorräte im Rucksack auffüllen, Körperhygiene, Shirts wechseln, alles wieder verstauen. Und mit den Leuten quatschen ist auch noch drin. Ein Supporter gibt Dési und mir noch einen heißen Tipp. Wir sollten nach dem Einlauf am VP 9 bei Km 170 dort nicht so lange verweilen, da die 170er einen dort durch ihr Finish auf komische Gedanken bringen könnten, von wegen aussteigen und so. Wir sollten lieber schnell weiterlaufen zum 10 km weiter entfernten VP und uns dort in Ruhe verpflegen. Tja, mal sehen. Wenn wir erstmal da wären…

Nach über 24 Stunden laufen merke ich so langsam meine Füße, genauer gesagt die Reibungen unter meinen Fußballen. Fühlt sich langsam an, als würde ich die Haut an meinen Füßen langsam, aber sicher wundlaufen. Kein schönes Gefühl. Vor allem, weil ich weiß, dass ich dagegen nichts machen kann. Dagegen hilft auch das Einschmieren der Haut nur bedingt.

Hilft ja nix. Nach ziemlich genau einer Stunde Aufenthalt machen wir uns wieder auf den Weg. Als wir nach draußen schlurfen, kommen uns an der Tür Georg Kunzfeld und Andreas Löffler entgegen, zwei Hirsche aus der 15 Uhr-Gruppe. Aha, das sind dann also die Verfolger von Jonathan.

Wir geben unsere Dropbags ab und zuckeln los. Es nieselt nur noch wenig.

Etappe 8/13: Schmidmühlen – Hohenburg (12,5 km)

Knapp einen Kilometer, nachdem wir Schmidmühlen verlassen haben, erwarten uns feine, beinahe blumige Trails. Wir können davon nicht mehr alles laufen, aber es ist trotzdem wunderschön. Das Grün von Klee und Kraut drängt mit aller Macht empor als wollte es uns sagen: Seht ihr, der Frühling ist schon da! Ich genieße diese Abschnitte unmittelbar nach einer Pause sehr, man fühlt sich noch so kräftig und stark. Leider verschwindet dieses Gefühl nach 2-3 Kilometern auch meist wieder. Dann wird es deutlich zäher. Doch auf dieser Etappe überwiegt die Freude und die Zuversicht – wir haben die erste Nacht gut überstanden, befinden uns mitten im zweiten Tag, noch reichlich Tageslicht voraus, sodass wir noch einige Kilometer im Hellen packen können. Die Natur ist wunderschön, die Trails sind oft laufbar. So kann es weitergehen.

Auch auf diesem Abschnitt des Jurasteigs begegnen uns alle paar Kilometer Hinweisschilder mit Distanzangaben zu naheliegenden Ortschaften. Und mit einer ebensolchen Zuverlässigkeit beginnt das alte Spiel: Waaas, soo weit ist es noch bis Hohenburg? Das KANN doch nicht sein! – Denke ich mit Vorliebe und bin jedes Mal tatsächlich bestürzt, wenn es doch noch alles viel länger dauert als gedacht. Ich bin froh, dass ich ein 4:15h-Marathonläufer bin und nicht etwa ein 3:15h-Marathonläufer. Um wie vieles entsetzter würde ein Läufer mit einem deutlich höheren Renntempo nun an meiner Stelle sein, wenn er „gezwungen“ wäre, sein Tempo auf 5-6 km/h zu beschränken?

Herausfinden werde ich es wohl in diesem Leben am eigenen Leib nicht mehr, dafür ist Tempo-Training einfach zu anstrengend. Da laufe ich doch lieber hier durch die bunte, frohe, lebendige Natur und freue mich des Lebens, dass ich immer noch unterwegs sein darf.

Zwar kann es einem helfen zu wissen, schon mehr als 140 km in den Beinen zu haben. Das ‚Aber‘, welches dann darauf folgt, nämlich noch knapp 100 km vor sich zu haben, ist dann doch eher etwas deprimierend. Egal, wie wir es rechnen, der zweiten Nacht werden wir nicht entkommen.

Besser ist es da wohl, sich die verbliebene Strecke in machbare Häppchen aufzuteilen. Und da hat das Organisationsteam in seiner unendlichen Weisheit schlauerweise Verpflegungspunkte auf die Strecke gesetzt. Jetzt noch ein paar Km bis Hohenburg, dann haben wir schon 150 km voll. Dann ist es nur noch eine Etappe bis zum Finish der 170er. Danach ist es ja nur noch ein 10er bis zum nächsten VP, quasi keine Entfernung. Danach ist es nur noch ein Halbmarathon bis zum letzten VP, an dem wir unsere Dropbags bekommen. Und wenn man dort in Deining ist, kann einem quasi nix mehr passieren, denn dann ist das Ziel auch noch im Kriechmodus zu erreichen. … So oder so ähnlich bewegen sich die Gedanken in meinem Kopf und interessanterweise klingt das alles überhaupt nicht bekloppt. Ich kann mich echt gut selbst überlisten.

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Stimmung ist gut nach 150 km am VP Hohenburg, Foto: Matthias Kröling

Nun sind wir auch fast da, aber – nanu? Tatsächlich liegt das Sportheim des TUS Hohenburg auf der anderen Straßenseite. Klingt erstmal nicht spannend, bedeutet aber, dass wir über eine Leitplanke klettern (ächz) und einen kleinen, dafür sehr steilen Abhang hinunter steigen müssen. Wenn ich ein Tourist für Ultraläufe wäre, würde ich von den Menschen, die hier zu diesen Turnübungen gezwungen sind, ein paar Fotos machen. Es gibt vermutlich kaum Studien, die ein größeres Leiden in den Gesichtern nachzeichnen, als auf denen der Ultraläufer:innen, die nach 150 km über eine Leitplanke steigen.

Wir erreichen das Sportheim und damit den VP um halb drei am Samstagmittag. Auch hier, wie wirklich überall, man kann es gar nicht oft genug betonen, werden wir aufs Herzlichste von lieben Leuten empfangen, die sich schon auf uns gefreut haben. Sie konnten unsere Tracker ja schon länger verfolgen und haben sich bestimmt ein paar Mal gefragt, warum das so lange dauert… Wir bekommen Kartoffelpüree und Brühe, juhu! Ich esse außerdem eine ganze Mettwurst. Hm, lecker. Mit der Aussicht, jetzt noch knapp 20 km weiterlaufen zu müssen, kann man ja auch noch ein paar Minuten sitzen bleiben. Es eilt ja nicht. Der Jurasteig jedenfalls läuft uns nicht weg.

Etappe 9/13: Hohenburg – Kastl (19 km)

Nach knapp 20 Minuten Aufenthalt brechen wir wieder auf. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich hier viel Pause machen darf, wir waren doch erst vorhin eine Stunde in Schmidmühlen! Lieber noch das Tageslicht nutzen und vorwärtskommen. Zwar ist meine Uhr tot, aber ich habe ja noch das GPS-Gerät, auf dem ich mir Entfernung und Uhrzeit anschauen kann. So 18:15 Uhr könnten wir in Kastl sein, das wäre doch was!

Und schon befinden wir uns wieder auf einer letzten Etappe, dieses Mal für die Läuferinnen und Läufer der 170km-Strecke. Irgendwo auf dieser Etappe muss wieder ein Checkpoint sein, bei dem wir das zweite Armbändchen erhalten. Schon wieder die letzte Etappe – ich meine, ein Muster zu erkennen. Ich bin aber auch ein Fuchs!

Dési und ich starten gut gelaunt und auch die Leitplanke überwinden wir souverän wie zwei junge Rehe. Naja, fast.

Mit ein wenig joggen zwischendurch schaffen wir tatsächlich 6 km/h, großartig! Und bereits eine knappe Stunde später stoßen wir an einer Spitzkehre in Allersburg auf den zweiten Checkpoint. (Ich hoffe, ich verrate hier keine Geheimnisse für zukünftige Starter:innen.)

Weiter geht’s, hinauf auf Hügel, hinab auf sanften Trails. Oder auch mal stur einen Kilometer Ashpalt hochlatschen und dann entlang eines Waldsaums auf einem Kiesweg. Von allem gibt es reichlich: Trails, Waldwege, Wiesen, Schotter und auch ab und zu Asphalt. Und irgendwie ist es ein tolles Gefühl: Mit jedem Schritt erkunden Dési und ich Neuland, jeder Schritt trägt uns weiter fort von unserem Startpunkt und gleichzeitig nähern wir uns unserem Ziel mit jedem einzelnen Schritt ein kleines Stückchen mehr. Es kommt mir vor, wie eine lange Reise in Zeitlupe. Es ist eine schöne Reise.

Bergab spüre ich nun immer mehr meine Fußballen. Dann schießt mir sofort eine verzweifelte Frage durch den Kopf: Wie soll ich es noch so lange mit brennenden Fußsohlen aushalten? In einigen, bitteren Momenten fühlt sich an, als würde mir buchstäblich das Fleisch von den Knochen geschmiergelt werden.

Der Wald spuckt uns aus und wir müssen mal wieder – zum x-ten Male – eine windige Anhöhe überwinden, auf der sich eine kleine Häusersammlung befindet, die man vielleicht gerade so eben als ‚Dorf‘ bezeichnen kann. Waren wir hier nicht schon mal? Ich hoffe, dass mir das niemand krumm nimmt, aber nach 30 Stunden auf den Beinen habe ich zum wiederholten Mal den Eindruck, dass ein Dorf dem anderen gleicht. In guten Phasen kann ich mich in die bisweilen aufkommende Monotonie hineinfallen lassen, es beinahe meditativ erleben. In schlechten Phasen (und das sind immer die Momente, in denen man vom kalten Wind daran erinnert wird, wie prekär die eigene Lage ist) habe ich das Gefühl, mich im Kreis zu drehen. Waren wir nicht gestern Abend auch schon auf so einer Anhöhe mit so einem Kaff … äh, Dorf, meine ich … wie hieß es denn noch gleich? Verblasste Erinnerung.

Dafür ein Schild „Kastl in 3,7 km“! Wow, das kam jetzt dann doch unerwartet! Sehr schön. Wie befriedigend muss es erst für die 170er sein, die wissen, dass es in weniger als einer Stunde für sie endgültig geschafft ist?! Ich versuche, dieses Gefühl in mir heraufzubeschwören, aber es gelingt mir nicht überzeugend. Vielleicht ist das aber auch gerade gut, denn unser Ziel ist es ja noch nicht.

Als wir in Kastl ankommen – und uns sogar für ein paar Meter verlaufen – schlägt eine der vielen Kirchturmuhren gerade zur Viertelstunde nach sechs Uhr. Passt doch, genau! Was bin ich nur für ein genialer Rechenkünstler, meine Prognose erfüllt sich auf die Sekunde! Da ich Dési im Vorfeld nichts davon berichtet habe, kann ich nun schlecht die Lorbeeren einfahren. Hätte ja jeder sagen können. So behalte ich es für mich und da bleibt es auch.

Wir erreichen das Hotel Forsthof. Ich lasse meine Stöcke draußen stehen und ziehe auch meine Schuhe aus, damit sie innen nicht wieder so einen Dreck machen wie an vorherigen Stationen. Dann begeben wir uns hinein – und müssen erstmal eine Treppe hoch. Nur ein kleiner Fluch meinerseits ertönt. Schon stehen wir in einem engen Raum, der zur einen Hälfte von einem großen Buffet-Tisch und zur anderen Hälfte von Tischen und Stühlen gefüllt ist. Ganz schön kleines Zimmerchen für das Ziel der glorreichen 170er! Wie gut, dass es nicht unser Ziel ist.

Meine Fußsohlen schmerzen jetzt, da das monotone Laufen erstmal vorbei ist, bei jedem Schritt. Das nervt. Und tut weh. Es ist total schön, hier Thorsten Klenke zu treffen, der den Shuttle-Service für die 170km-Finisher nach Dietfurt machen wird. Gut, dass du da bist, Thorsten. Ich muss nämlich ganz dringend mal jammern, dass alles so scheiße ist und meine Füße wehtun. Da kommst du mir gerade Recht! Ich ziehe vorsichtig die Socken aus und betaste die Fußsohlen. Rechts geht es, aber links bildet sich eine nette Blase unter der Hornhaut. Oh je. Weiter jammern. Dann säubern, einschmieren und ein neues Paar Socken anziehen. Nebenbei noch irgendwas essen und trinken. Und jammern. Thorsten meint, das würde schon hinhauen, wären ja nur noch 70 km. Der hat gut reden, ich jammere lieber.

Irgendwann ist dann auch genug gejammert und die Füße sind, so gut es halt geht, wieder aufgemotzt. Aufstehen tut weh, aber ich will nicht mehr jammern. Hilft ja nix, habe ich mir alles selbst so ausgesucht. Dési ist auch schon wieder bereit und wir steigen etwas mühsam die Treppe wieder runter. Schuhe irgendwie wieder anziehen und dann geht’s weiter. Sind ja nur 10 km bis zum nächsten VP. Dass auf diesen 10 km deutlich über 600 Höhenmeter zu absolvieren sind, wissen wir zwar. Aber das wollen wir doch erstmal mit eigenen Augen sehen!

Etappe 10/13: Kastl – Habsberg (10,4 km)

Noch 70 km. Pah, was sind schon 70 km, wenn man schon 170 km geschafft hat. Andererseits: Ach du scheiße, noch 70 km mit diesen Fußsohlen! Wie soll ich das auch nur noch 700 Meter aushalten? Der klassische Ultraläufer-Trick: nicht dran denken, ausblenden, in den Rhythmus kommen. Klappt auch dieses Mal. Sobald wir ein paar Meter getrabt sind, sortiert sich der Inhalt der Schuhe und der Schmerz wird erträglich. Bis auf, naja, bis eben auf die wenigen Momente, in denen alles zusammen kommt: die wachsende Blase unter der Hornhaut des Fußballens und ein winzig kleines Steinchen, welches genau im Moment des Auftretens zwischen Schuh- und Fußsohle gerät. Passiert nicht oft, aber es sind jene Momente, in denen der Schmerz für einen Moment Sieger über alle Sinne ist und kein anderer Gedanke möglich ist außer: ACH DU SCHEIßE, DAS TUT VERDAMMT WEH. Aber, wie gesagt, das passiert zum Glück nicht so häufig.

Wir folgen einem asphaltierten Weg, der eher angenehm für meine Füße ist. Dann geht es in einem Waldstück allerdings direkt wieder steil bergauf. Irgendwo müssen die ganzen Höhenmeter ja sein, die wir auf dieser Etappe zu überwinden haben. Es folgen Passagen überwiegend am Waldrand, die uns schwanken lassen, ob es bereits der passende Zeitpunkt sei, erneut die Stirnlampe aufzusetzen. Irgendwann in einem Waldstück entscheiden wir uns zwar dafür, lassen sie aber dann doch noch ausgeschaltet, denn zunächst geht es wieder durchs offene Feld. Die Wege sind auf dieser Etappe nun doch überwiegend breiter, der Asphaltanteil so hoch wie noch nie bisher. Doch es geht eben auch bergan. Ein Wegweiser informiert uns, dass es noch 3 km bis Habsberg sind. Es geht zwar immer etwas rauf und runter, aber die ganz fetten Berge fehlen noch.

Nun wieder ein wenig am Wald entlang, dann rechts abbiegen … und zack, 10% Steigung, auf Asphalt schön gerade den Berg hoch. Oben angekommen sind Straßenlampen zu erkennen, es ist auch ein bisschen neblig. Das muss doch Habsberg sein, was steht denn dort auf dem Straßenschild? Engelsberg. Wir sind nicht nur noch nicht da, es geht auch direkt wieder in den Wald hinein und auf einen abgelegenen Hof zu. Als wir etwa 100 Meter entfernt sind, erscheint auf dem Hof ein nicht angeleinter Hund und beginnt lautstark zu bellen. Hatte ich erst noch gehofft, bald in Habsberg zu sein, wünsche ich mir nun, dass hier noch nicht der VP ist. Das Bellen des Hofhundes begleitet uns noch eine ganze Weile. Na, der wird noch seinen Spaß haben an diesem Abend, da sind ja noch ein paar Läufer:innen hinter uns.

Wieder hinein in den Wald, nun wird es duster. Nicht nur, weil es mittlerweile wieder dunkel ist, auch ein dichter Nebel zieht auf. Die Wassertröpfchen reflektieren das Licht unserer Stirnlampe und lassen uns in einer milchigen Suppe zurück. Irgendwo vor oder neben uns läutet die Glocke eines Kirchturms. Ist das vom Habsberg? Während wir in der einen Sekunde noch mitten in der Pampa zu sein scheinen, stoßen wir im nächsten Augenblick auf ein urdeutsches Kulturgut: ein Autoparkplatz. Von diesem geht ein Weg aus, dessen Steigung sich durch die erleuchteten Laternen ausmachen lässt: steil bergauf. Treppen über Treppen. Ich beginne zu begreifen, dass wir alle Stufen erklimmen müssen, bevor wir dann an den VP kommen. Also klettern wir. Wir, das sind momentan Dési, ich und Sabine Schlegel, mit der wir seit einigen Kilometern in etwa auf einer Höhe sind und uns jetzt hier an den Treppenstufen treffen. Sabine ist absolut JUNUT-erfahren und hat die Ruhe weg. Es ist beeindruckend, wie sie in ihrem Tempo den Parcours meistert. Auch, wenn Dési und ich einige Passagen laufen und damit insgesamt schneller sein müssten, bewegt Sabine sich mit einer großen Konstanz und kürzeren Pausen vorwärts, sodass wir uns immer wieder begegnen.

Endlich ist die Treppe erklommen und wir erreichen etwa 20:40 Uhr das Diözesanjugendhaus auf der Spitze des Habsberges. Der VP ist auf dem Flur zwischen der Gaststätte und den Aufenthaltsbereichen der Einrichtung, was das Ganze noch etwas Spezieller macht: Einerseits ist es hier wirklich nett, andererseits ist an diesem Samstagabend ganz schön was los in der Gaststätte und es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen von Besucher:innen, die rein gar nix mit dem Lauf zu tun haben. Alle sind super freundlich und aufgeschlossen, aber sorgen gleichzeitig dafür, dass ich mich ganz schön fehl am Platz fühle. Zum Glück sind die Supporter hier oben sehr glücklich, endlich wieder „Laufkundschaft“ begrüßen zu dürfen. Belegte Brote, der Herr? Klaro, immer her damit! Ich schaufele mir direkt zwei Wurstbrote rein. Und während wir da so sitzen, kommen zunächst Hecke Degering und schließlich Andreas Löffler rein. Ersterer ist wie wir um 11 Uhr gestartet, letzterer um 15 Uhr. Nun sitzen wir alle gemeinsam hier rum und stärken uns für die kommende zweite Nacht.

Ich will auf Toilette gehen, die allerdings ein Stockwerk tiefer ist. Ächz. Lieber mal Schuhe ausziehen, damit ich nicht alles dreckig mache. Gemeinsam mit meiner neuen/alten besten Freundin, der Tube Vaseline, wanke ich stöhnend und fluchend abwärts. Ist schon interessant: Unterwegs gelingt es mir, „in den Schmerz zu laufen“, sodass dieser zu einer lästigen Nebenbaustelle wird, die sich aushalten lässt. Sobald der Rhythmus aber unterbrochen ist, wird jedes Aufstehen vom Stuhl zu einem Willensakt. Dési hatte mir berichtet, dass sie sich an den VPs ab und zu mal das Gesicht wäscht. Diesen Luxus habe ich mir bis jetzt irgendwie nicht gegönnt. Nun aber will ich das auch mal probieren und lasse mir Wasser zunächst in die Hände und dann übers Gesicht laufen. Uuaaah, herrlich! So muss es sich anfühlen, neu geboren zu werden! Klasse, was soll mich jetzt noch aufhalten? … Außer der Weg zurück natürlich, wobei ich die Treppe wieder emporsteigen muss.

Halbwegs renoviert machen Dési und ich uns dann schließlich fertig. Wir erinnern uns an die Worte von Tobi Krumm, wonach die nun folgende Etappe gut gerollt werden kann. Das Höhenprofil weist jedenfalls schon mal deutlich mehr negative als positive Höhenmeter aus.

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Wir bedanken uns bei den liebevollen Helferinnen und staksen gegen 21:15 Uhr durch die Tür. Sabine ist die ersten Meter noch bei uns, aber dann brauchen Dési und ich mal wieder länger und Sabine ist voraus. Andreas ist schon weitergelaufen, als ich auf Toilette war. Hecke hat sich ein wenig hingelegt und wird uns wohl bald einholen.

Etappe 11/13: Habsberg – Deining (21,9 km)

Nächster Stop ist das verheißungsvolle Sportheim in Deining. Dort sind dann nicht nur mehr als 200km geschafft, sondern ein Ende ist wirklich abzusehen.

Doch zunächst einmal noch knapp 22 km. Können wir es nicht in 4 Stunden dorthin schaffen? Dann wäre es dort 1:15 Uhr. Oder schaffen wir es sogar schneller, bis 1:00 Uhr? Es soll doch mehr bergab gehen als bergauf.

Mit bergab geht es auch schon gut los. Treppenstufen runter. Ayayay. Klappt einigermaßen. Das, was bislang Nebel war, hat sich in einen Nieselregen verwandelt. Ist natürlich kein Problem für uns, wir hatten schon Schlimmeres in der Frühe des heutigen Tages.

Kaum sind wir 1,5 Kilometer unterwegs, sind wir auch schon ab vom Track und müssen ein paar hundert Meter zurück. Ärgerlich, aber das war unser erster größerer Verlaufer bisher und das nach über 180 km. Ist okay.

Wir sind zu Beginn dieser Etappe – wie auch zu Beginn jeder bisherigen Etappe – gut drauf, joggen bzw. wandern nebeneinander her und versuchen ein paar lockere Sprüche. Hatte Tobias Krumm nicht am Freitagmorgen beim Frühstück gesagt, dass es jetzt laufbarer wird? Ich habe noch irgendwas von schnurgeraden Schotterwegen mit Windrädern am Horizont im Ohr. Windräder sehe ich gerade keine… was auch daran liegen könnte, dass es mitten in der Nacht ist und ein Läufer wie Tobi diese Etappe hier noch im Hellen erlebt. Tja, anderes Kaliber einfach. Vielleicht sogar eine andere Sportart.

Doch er hatte nicht ganz Unrecht. Dési und ich nehmen selbst jetzt im Dunkeln wahr, dass viele Passagen deutlich flacher sind. Und viel Asphalt ist auch dabei, sogar manchmal hunderte Meter relativ stumpf auf kleinen Kreisstraßen entlang. Das gab’s bisher so noch nicht und ist bestimmt nicht der schönste Teil des Jurasteigs. Allerdings erscheint damit die Wahl von Dietfurt als Start-/Zielort wieder mal in einem cleveren Licht: So konnten die schwierigsten, aber landschaftlich vielleicht auch schönsten Etappen direkt zum Start absolviert werden, wenn die Beine noch frisch sind und das Tageslicht reichlich ist.

Nun ist es halt Nacht und mir ist es ehrlich gesagt total schnuppe, wie die Landschaft um mich herum gerade ausschaut. Mich interessiert nur die Beschaffenheit der jeweils nächsten paar Meter Weg vor mir, die mir meine Stirnlampe erhellt. Apropos Lampe. Die blinkt auf einmal kurz auf, als würde sie blinzeln. Sofort werde ich panisch. Der Akku meiner Lampe ist gleich alle. Ist nachts halt doof. Klar habe ich Ersatzbatterien dabei. Aber wenn ich die Batterien wechsle, geht das Licht aus, welches ich ja aber zum Leuchten für die Ausführung dieser für nasskalte Finger feinmotorisch nicht ganz unanspruchsvollen Tätigkeit brauche. Hm, blöd. Auch an dieser Stelle ist es ein großer Vorteil, zu zweit zu sein. Dési spendet geduldig Licht, während ich etwas hektisch die Batterien wechsle und dabei sogar irgendein Kunststoffteil abbreche. Klappt aber alles irgendwie.

Dann ist es erstmal vorbei mit den Asphaltstücken, dafür beginnen nun die Feldwege. Und der Schlamm. Na toll. In der Theorie ist es flach genug, um immer mal wieder ein paar Dutzend Meter zu joggen und damit etwas Zeit gut zu machen. Das Tempo von 5 auf 6 km/h zu erhöhen. In der Praxis aber ist der Weg matschig ohne Ende und die geringe Sichtweite des Lichtkegels lässt mich immer wieder innehalten und Sekunden auf der Suche nach dem nächsten gut platzierten Schritt verstreichen. Noch gilt die Devise: Lieber drei Meter Umweg nehmen als durch eine Pfütze ungewisser Tiefe latschen.

Auf freiem Feld wird es nun stellenweise richtig frisch mit Wind von der Seite oder von vorn, dazu gesellen sich auch vermehrt Regentropfen. Wir staken etwas hölzern durch den Matsch. Obwohl, nein, das muss ich korrigieren. Eigentlich bin nur ich es, der stakt. Dési marschiert einfach unbeirrt weiter. Der Abstand zwischen ihr und mir vergrößert sich schnell und nimmt immer mehr zu, teilweise ist sie zwei- bis dreihundert Meter vor mir. Konnte ich dieses Loch in der ersten Nacht im Wald oft wieder zulaufen, schaffe ich es im Schlamm einfach nicht mehr. Das ist frustrierend. Bleib dran, bleib dran, bleib dran. Wie viele Kilometer sind es noch bis Deining? Ich wage nicht, auf mein Navi zu schauen, zu sicher bin ich, von dem Ergebnis nur enttäuscht zu sein. Bald kann ich es mir aber nicht mehr verkneifen, schaue drauf … und bin natürlich enttäuscht. Waas?? Noch 10 Kilometer?? Das kann doch nicht sein! Das sind ja noch mindestens zwei Stunden Regen, Kälte, Wandern, Müdigkeit, Dunkelheit bis zum VP.

Ich bin verzweifelt. Nun braucht es einen Booster, ich muss mich an irgendetwas hochziehen. Also fische ich meinen mp3-Player aus dem Rucksack. Eine Premiere: Zum ersten Mal in meiner Ultralauf-„Karriere“ nutze ich Musik bei einem ultralangen Lauf, um mich abzulenken. Ich brauche jetzt einen Radiosender. Irgendein Lebenszeichen, eine Stimme, die mir Normalität und Vertrautheit vermittelt. Eine Stimme aus einer Welt, die nichts mit diesem Lauf zu tun hat, die mir Zuversicht geben kann, dass es noch mehr in dieser kalten, regnerischen Nacht gibt als die Einsamkeit der Langstreckenläufer:innen. Ich gehe alle Radiowellen durch, doch der einzige Sender, der nahezu ohne Rauschen funktioniert, ist das Klassikradio des Bayerischen Rundfunks. Na gut, dann soll es wohl so sein. Klaviersonaten und Cellokonzerte sind für die nächste Stunde meine Wegbegleiter.

Und mit dem Klang der Musik ändert sich doch tatsächlich etwas. Mein Selbstmitleid, wie gnadenlos alles gerade sei, wird kleiner. Meine Schritte werden fester, meine Haltung aufrechter, das Stakkato der Stöcke erlebt ein accelerando, um in der Sprache zu bleiben. Der Abstand zwischen Dési und mir wird zunächst nicht mehr größer, dann kann ich sogar nach und nach Boden gut machen. Ich entwickle wieder den Ehrgeiz, zu ihr aufzulaufen. Dési, die sich vorher immer wieder (genervt oder mitleidig?) zu mir umgeschaut hat, ist erfreut, dass ich nicht mehr so neben der Spur bin.

Meine schlechte Laune bessert sich ein wenig und dann enden auch noch die ewigen Feldwege. Wir erreichen das Örtchen Oberbuchfeld und dahinter den Wald. Aber immer noch sieben Kilometer, noch ein Drittel der Strecke. Puh, diese Angaben sind immer schwer zu verdauen.

Unwillkürlich erinnere ich mich an einen Moment bei meiner ersten TorTour-Teilnahme nach vielleicht 100 zurückgelegten Meilen: Die Meter zogen sich wie Kaugummi, wann ist mal wieder ein Kilometer rum? Ich will und will nicht auf die Uhr schauen, um nicht enttäuscht zu werden. Nach einer gefühlten Ewigkeit kann ich nicht widerstehen und muss feststellen, dass ich erst 500 Meter zurückgelegt habe. Es sind jene Momente, die es sogar in meine Träume geschafft haben, wenn ich dort mit großem Aufwand und langen Schritte renne und doch scheinbar auf der Stelle kleben bleibe.

Wie wohl da eine Veränderung des Untergrunds tut! Es geht wieder in den Wald, der sofort Ablenkung bringt und weniger Schlamm. Auch windgeschützt ist es hier und ich setze meine Kapuze ab. Irgendwann erreichen wir dann – wieder enger beieinander laufend – Arzthofen und durchqueren es auf der Hauptstraße, dem Lengenbacher Weg. Es geht sogar sanft bergab. Angenehm! Nur ist es leider nicht der richtige Weg, wie wir nach ein paar hundert Metern ohne Wandermarkierung feststellen. Der Blick auf’s Navi zeigt, dass wir eine Abzweigung verpasst haben. Ein bisschen ärgerlich, aber nicht dramatisch. Doch wie konnte das passieren?

An dieser Stelle möchte ich noch eine kurze Passage bezüglich der Streckenmarkierung einschieben. Der Jurasteig ist komplett mit bestimmt mehreren tausend Wanderzeichen ausgeschildert. Diese hängen überwiegend auf Augenhöhe. Kurz vor und auch nach Kreuzungen sind Schilder angebracht, um der Wandererin oder dem Läufer die Korrektheit des eingeschlagenen Weges zu bestätigen. Und nun kommt das Unglaubliche: Gerhard hat aberhunderte diese kleinen Schilder in wochenlanger Arbeit mit quadratzentimetergroßen Reflektoren beklebt. Die Wirkung ist genial: Wenn unsere Stirnlampen nachts umherschweifen, reflektieren die Schilder zuverlässig unser Licht. So können wir mitten in der Dunkelheit sicher dem Steig folgen, ohne mühsam jedes einzelne Schild im Wald suchen zu müssen oder ständig auf’s Navi zu schauen. Das spart nicht nur jede Menge Nerven, sondern auf langer Sicht auch einen Haufen Zeit. Danke, Gerhard!

Wie konnten wir uns also verlaufen? Es stellt sich heraus, dass wir ein Wanderzeichen übersehen haben, auf dem kein Reflektor klebt. Das kommt davon, wenn man sich an den Luxus gewöhnt hat, nur den Reflektoren zu folgen und sich sonst überwiegend nicht um die Markierung zu kümmern. Schnell sind wir zurück auf der Strecke und geben uns nun besonders Mühe, nach den Schildern Ausschau zu halten. Nur gibt es plötzlich keinen Weg mehr. Rechts von uns ein kleines Flüsschen, ansonsten nasse Wiese überall. Da, in hundert Metern Entfernung ist wieder ein Reflektor. Einen Pfad kann man allerdings nicht erkennen bis dahin. Nur nasse Wiese. Mal hohes Gras, mal noch höheres Gras, dazwischen Pfützen. Die Schuhe schmatzen im Schlamm. Ehrlicherweise ist es mehr Sumpf als Wiese. Und schon sind wir wieder in dem Modus, den ich am liebsten hinter uns gelassen hätte: Während Dési marschiert und marschiert, zaudere ich bei fast jedem Schritt. Passend dazu nimmt der Regen wieder zu. Wasser von unten, Wasser von oben, Wasser überall. Das einzig Tröstliche in diesem Moment ist der VP, der nur noch 1-2 km entfernt ist.

Fluchend suchen die Augen ein Licht in der Dunkelheit. Um diese Uhrzeit muss ein hell erleuchtetes Haus einfach der VP sein, es muss einfach so sein! Und dann ist es wirklich so. Um 1:30 Uhr nachts erreichen wir nach 22 km und 4:15 h Laufzeit den nächsten Leuchtturm der Hoffnung, das Sportheim des 1. FC Deining. Zwei jugendliche Helfer stehen 100 Meter davor und nehmen uns in Empfang. Sie haben Sorge, dass wir sonst vorbeilaufen würden, das wäre in dieser Nacht schon vorgekommen, meinen sie. Ihre Freundlichkeit wird von mir mit überwiegend bissigen Bemerkungen bezüglich des letzten Streckenabschnitts quittiert. Tut mir leid, Jungs, bitte nehmt es nicht persönlich.

Im Sportheim gibt es allen Komfort. Also Heizung, Stühle und Dropbags. Wer mag, kann sich sogar auf ein paar Feldbetten legen und pennen, außerdem sind Duschen vorhanden. Dési und ich beginnen mit unseren bewährten Abläufen. Während ich meinen Dropbag auspacke und die Beutel daraus um mich herum auf den Tisch verteile, bekomme ich eine Flasche alkoholfreies Bier, Nudeln mit Tomatensauce und stelle fest, dass ich überhaupt nicht müde bin. Nicht ein einziges Mal während unseres Aufenthalts hier im Sportheim verspüre ich das Bedürfnis, mich mal hinzulegen und zu schlafen. Mag allerdings sein, dass die leichte Unterkühlung auch dazu beiträgt. Also schnell Klamotten wechseln.

Ich entscheide mich dazu, die komplett nassen Schuhe gegen trockene des gleichen Modells einzutauschen. Vorher behandle ich die Blasen an den Füßen. Eine davon ist unter der Hornhaut des Fußballens, da komme ich kaum dran. Schade, dass es davon kein Foto gibt, wie ich auf einem Stuhl vor der Dusche sitzend meine Füße wasche. Ich lasse mir viel Zeit mit allem, die Füße müssen ja jetzt doch schon noch ein paar Stunden durchhalten.

Andreas war am VP, als wir kommen und ist nun schon wieder weg. Sabine trifft ein und legt sich sofort schlafen, Hecke sucht sich auch einen Platz. Es ist angenehm ruhig hier, alle erledigen ihre Aufgaben konzentriert und gründlich. Leider kann ich nicht genau sagen, wann wir wieder aufbrechen, ich schätze unseren Aufenthalt hier auf etwa eine Stunde.

Mit den besten Wünschen werden wir von den tollen Helfern hinausbegleitet. Die vorletzte Etappe erwartet uns, wieder ein Halbmarathon. Wenn der geschafft ist, dann …

Etappe 12/13: Deining – Holnstein (21,1 km)

Es regnet immer noch, aber wieder etwas schwächer. Guten Mutes – wie nach jeder Pause – machen wir uns auf den Weg. Bereits nach wenigen hundert Metern setze ich mich vom Regen geschützt unter das Vordach einer Tankstelle, um die Schnürsenkel meiner neuen Schuhe zu lockern. Ist doch interessant: Ich kaufe diese Schuhe schon zwei Nummern größer mit dem Wissen, dass die Füße und Fußgelenke nach stunden- oder tagelangem Laufen anschwellen und dann mehr Platz benötigen. Das ist natürlich auch bei diesen Schuhen so, doch die bisherige Schnürung reicht nicht aus. Also noch mehr lockern.

Dann geht’s besser. Wir queren Deining und dabei geht’s wieder Richtung Wiese – freundlicherweise aber nicht durch diese, sondern oben drüber auf einem Holzsteg. Kurz nachdem wir den Ort verlassen, wird es wieder rutschiger. Es folgt die zweite Schuh-Erkenntnis innerhalb weniger Minuten, als ich wegrutsche: Das Profil ist Mist. Sofort bereue ich es, nicht doch wieder die nassen Schuhe angezogen zu haben. Lieber nasse Schuhe mit ausreichendem Profil als (noch) trockene Schuhe, in denen ich mich aber ständig konzentrieren muss, nicht auszurutschen und umzuknicken. Oder doch nicht?

Aber es hilft ja nichts. Die Wahl ist getroffen und kann nun nicht mehr rückgängig gemacht werden. Dann muss ich mich eben wieder mehr konzentrieren, muss mich mehr auf meine Stöcker verlassen. Bloß nicht grummelig werden deswegen. Dési ist schon wieder voraus, ich muss dran bleiben. Die Strecke verläuft – für mich glücklicherweise! – wieder etwas mehr durch den Wald. Damit sind wir Regen und Wind nicht so schutzlos ausgesetzt.

Nach knapp 8 Kilometern biegen die Strecke links ab und wir müssen uns zwischen einem Pfad und einer Straße entscheiden, die beinahe direkt nebeneinander liegen. Wir entscheiden uns für die Straße, was sich nach knapp 100 Metern als falsch herausstellt, drehen um und zuckeln wieder zurück. Nun schauen wir daher zufällig in die Richtung, aus der wir gekommen sind, und sehen ein grünes Licht. Ein grünes Licht?? Was, um alles in der Welt, soll sich denn hinter einem grünen Licht verbergen? Im Kopf gehe ich alle (wenigen) grünen Lichter durch, die ich kenne: Ampel? Im Wald, nee, ist klar. Irgendein Zugsignal? Flüchtig erinnere ich mich, dass wir einige Kilometer zuvor ein Gleis passiert haben. Nee, kann aber auch nicht sein. Und dieses Licht bewegt sich und kommt näher. Das wird doch wohl nicht eine Stirnlampe sein? Wir bewegen uns aufeinander zu. Es IST eine Stirnlampe, sie gehört zu Hecke. Na, das ist ja mal eine interessante Überraschung. Hecke, warum ist dein Licht grün? Das würde ihn Umrisse besser erkennen lassen, meint er, und außerdem sei es angenehmer für die Tiere, die würden durch grünes Licht nicht so sehr aufgeschreckt und irritiert wie durch das für gewöhnlich weiße Licht.

Ab sofort sind wir ein kleines Stück zu dritt unterwegs. Doch Hecke ist bergab und auf der Ebene deutlich schneller (weil er ganz einfach viel mehr läuft als wir) und schon nach ein paar hundert Metern wieder weg. Denken wir. Doch dann kommt er uns entgegen. Häh, was ist denn nun los? Vielleicht hat er sich auch verlaufen. Sekunden später stehen wir zu dritt mitten im Wald und sind ratlos. Ein Blick auf’s Navi verrät uns, dass der Track auf einer Länge von etwa 150 Metern von den Wanderzeichen abweicht und dann wieder zusammenführt.

Wir sehen uns in einer Zwickmühle: Folgen wir dem Track oder dem Wanderzeichen? Eigentlich ist die Frage leicht zu beantworten: follow the track. Allerdings ist der Wanderweg nicht nur anders ausgeschildert, sondern auch noch mit einem Reflektor versehen. Entweder wir folgen dem Track, der von Gerhard ist und hier vom Hauptweg abbiegt. Oder wir folgen dem Wanderzeichen, auf welches Gerhard einen Reflektor geklebt hat. Nicht auszudenken, dass wir uns falsch entscheiden und genau an dieser kniffligen Stelle das dritte Armbändchen hinterlegt sein könnte, an dem wir dann vorbei laufen. Also kurzer Austausch: Track oder Wanderzeichen mit Reflektor folgen? Wir entscheiden uns für den Track und stellen nach wenigen Metern fest, dass dieser Weg bisher kaum oder gar nicht genutzt wurde. Ja, eigentlich ist es nicht mal ein Weg. Wir versuchen es trotzdem und scheitern schließlich, hier ist kein Durchkommen. Zwar sind wir nur etwa 20 Meter neben dem Track, aber wir gelangen nicht hin. Nach mehreren Minuten des Suchens entscheiden wir uns dann dafür, dem Hauptweg mit den Wanderzeichen weiter zu folgen. Am Ende stehen hier beinahe zehn Minuten des Diskutierens und Wegsuchens zu Buche. Ganz schön viel Aufwand für insgesamt 150 Meter Strecke, aber wir wollen es richtig machen und auf keinen Fall abkürzen. Wie hier wohl die anderen Läufer:innen entschieden haben?

Nach diesem kleinen Intermezzo löst sich unsere Reisegruppe auch wieder auf, weil Hecke mit wenigen flinken Schritten mit seinem grünen Licht vor uns im Wald verschwindet. Weg ist er.

Dési und ich schlappen weiter durch den Wald, queren eine nasse Wiese und dann geht’s erneut in den Wald. Es ist nicht mehr allzu lange bis zur Morgendämmerung und ich beginne, herzhaft zu gähnen. Müüüde. Sehr müde. Dési ist schon wieder einige Meter voraus. Dran bleiben, dran bleiben, bleib dran, bleib auf jeden Fall dran!!

Irgendwann hört es auf zu regnen. Irgendwann ist das Schwarz um uns herum etwas weniger dunkel. Irgendwann hebt sich der gräuliche Himmel vom dunklen Wald ab. Ich gähne weiterhin vor mich hin und habe Mühe, an Dési dran zu bleiben. Aber ich bleibe dran und ringe die Müdigkeit nieder. Wie lange ist es noch nach Holnstein?

Dann ist es endlich wieder hell. Endlich, was für ein Glück! Die zweite Nacht ist vorbei, der dritte Tag liegt vor uns.

Wir durchqueren Simbach und laufen anschließend wieder mal quer über eine Wiese, dieses Mal allerdings ist sie nicht im Tal sondern längs an einem Hügel. An der Marienquelle müssen wir dann rechts abbiegen. Dési ist etwa 150 Meter voraus und nicht abgebogen, sondern weiter bergauf gelaufen. Ich rufe ihr nach, dass sie sich vertan hat und es tut mir leid, dass mir dies erst so spät aufgefallen ist, dass sie deswegen nun ein paar Höhenmeter umsonst gesammelt hat. Noch drei Kilometer. Noch zwei. So langsam weicht die Anspannung. Die Dunkelheit ist besiegt. Wir müssen nicht mal mehr einen Halbmarathon laufen und haben noch richtig viel Zeit dafür. Da! Dort muss Holnstein sein. Es ist Holnstein. Nur leider ist es wie so oft: Ich wünsche mir, dass der VP direkt im ersten Haus des Ortes ist, damit wir schneller ankommen. Ist natürlich nicht so. Wir laufen auch nicht direkt in das Dorf hinein, sondern erst noch mal einen ordentlichen Bogen drumherum. Es geht noch einmal rauf und dann erbarmungslos bergab, was nach 220 km kein Stück besser ist.

Dann sind wir im Ort und laufen um kurz vor 7 Uhr morgens auf die Felsenschänke zu. Geschafft! Wir haben es tatsächlich geschafft. Der letzte VP ist erreicht! Ab hier sind es gleich nur noch knapp 15 km bis nach Dietfurt. Mir schießen die Tränen in die Augen. Eine große Erleichterung macht sich breit. Als die liebevolle Support-Crew des VPs fragt, wie es mir geht, presse ich fest den Kiefer zusammen, um nicht loszuheulen. Meine Güte, was soll jetzt noch schief gehen? Wir werden es schaffen. Wir werden es tatsächlich schaffen! Es geht mir gut, was sonst?!

Hecke ist auch noch da, aber dann schnell wieder weg. Er hat es irgendwie eilig. Nachdem er geht, haben Dési und ich den kompletten VP für uns. Zunächst setze ich mich an einen Tisch, dann will ich mich auf die Holzbank legen, die aber zu schmal für mich ist. Also lege ich mich einfach unter den Tisch, strecke alle Glieder von mir und schließe die Augen. Schlafen kann ich nicht, aber es tut gut, ein paar Minuten zu ruhen. In meinem Kopf rattert es: 15 Kilometer kann man in gut 3 Stunden schaffen. Wenn wir es schaffen, hier um 7:30 Uhr wegzukommen, dann muss es doch mit aller bisher gemachten Erfahrung möglich sein, noch vor 11 Uhr zu finishen. Irgendwie reizt mich das schon: unter 48 Stunden bleiben. Es ist eigentlich total egal, aber ich finde es lässig zu sagen: Ach, für den Jurasteig haben wir nicht mal zwei Tage gebraucht. Lächerlich, klar. Aber auch irgendwie lässig. Und vor allem ist es realistisch.

Ich teile Dési meine Gedanken mit. Sie ist nicht so begeistert wie ich, meint, dass es schwer werden könnte. Diese Befürchtungen teile ich überhaupt nicht, aber das hilft uns gerade auch nicht weiter.

Nach guter Verpflegung machen wir uns um kurz vor halb acht am Sonntagmorgen, 16.4., wieder auf den Weg. Ein letztes Mal. Der Kreis wird sich bald schließen.

Etappe 13/13: Holnstein – Dietfurt (15,6 km)

Nun erstmal direkt eine Treppe hinab und wieder einen Fluss, mal wieder die Weiße Laber, queren. Sofort geht es in den Wald und alles, was wir vorhin an Höhenmetern nach Holnstein hinab verloren haben, muss jetzt natürlich wieder aufgeholt werden. Also rauf auf den Berg. Kaum wird es anschließend flach, beginnen wir aber auch schon wieder zu traben. Im Flachen auf der Anhöhe können Dési und ich gut nebeneinander laufen, doch dann geht es steil bergab. Ich muss mit meinen Schuhen, die ja etwas weniger Profil haben, enorm aufpassen, nicht auszurutschen. Währenddessen fliegt Dési förmlich davon. So bewegt sich jemand, der in Eile ist. Etwas verzweifelt (und zugegebenermaßen auch etwas selbstmitleidig jammernd und fluchend) versuche ich, ohne Stürze den steilen Hang hinabzukommen. Der Abstand vergrößert sich, so groß war er selbst in der letzten Nacht nicht mehr. Ich kann Dési auf der kurvenreichen Strecke durch den Wald manchmal gar nicht mehr vor mir sehen.

Irgendetwas muss sich ändern. Sobald der Hang geschafft ist, beginne ich zu joggen. Ich laufe auch dort, wo es eigentlich bergauf geht und wo ich sonst niemals laufen würde, wenn ich nicht wüsste, dass dies nun die letzte Etappe ist. Dési, warte auf mich! Kurz vor Erbmühle finden wir wieder zusammen. Ich versuche Dési vorzurechnen, dass wir es bereits jetzt sicher vor 11 Uhr schaffen werden, weil wir schon einige Meter gelaufen sind. Selbst dann, wenn wir jetzt nur noch bis ins Ziel spazieren gehen. Ich weiß nicht, ob sie mir glaubt, jedenfalls ist sie gewillt, auf mein Schneckentempo Rücksicht zu nehmen.

Wir erreichen ein idyllisches Flusstal, welches uns nun bis zum Ziel begleiten wird. Denken wir jedenfalls. Hier mäandert (welche wunderschönes Wort!) die Weiße Laber sanft durch saftige, grüne Wiesen. Genau durch die müssen wir auch. Hier gibt es zwar in der Theorie einen Wanderweg, aber es ist völlig unklar, wo genau dieser im Gras verlaufen soll. Daher wandern wir mitten durch das Gras. Obwohl es flach ist, klappt laufen nicht, dafür ist es zu rutschig.

Aber vielleicht stimmt das auch nicht so ganz und laufen wäre schon drin. Sagte Jonathan und auch so einige andere Läufer:innen später, dass sie es hier noch mal richtig haben rollen lassen können.

Doch ich will nicht mehr. Ich will nichts rollen lassen, will nicht laufen. Ich will nur noch spazieren gehen und einfach nur genießen. Ich will die herrliche Natur genießen, die uns auf den letzten 10 Kilometern vor die Füße gelegt wird. Ich will das letzte Kapitel dieser Reise genießen. Sollte es wirklich gleich schon vorbei sein? All die Kilometer, all die Stunden, ach was: Tage? Vorbei auch der Irrsinn in meinem Kopf in den letzten Tagen und Wochen vor dem Lauf. Ob das Training reicht, ob ich fit genug bin, ob ich Urlaub bekomme, ob Dési und ich ein gutes Team sein werden.

Alles kann ich jetzt von Herzen mit „Ja!“ beantworten. Es hat alles geklappt und auch der Rest wird klappen, das ist sicher. Wozu noch anstrengen und laufen, wenn wir es doch auch im Spaziergang schaffen können? Mit diesen Gedanken fällt das Anlaufen schwer, das wir ab und zu probieren. Es ist auch eher die Simulation einer laufähnlichen Bewegung als tatsächliches Laufen. Eher dafür da, um uns alle paar Minuten daran zu erinnern, dass wir ja gerade bei einem Lauf-Wettkampf sind.

Dort eine Pfütze, die sich über den ganzen Weg breitet. Hätte ich in den Nachtstunden noch einen Weg darum herum gesucht, um meine Füße nicht nass zu machen, latschen wir nun fröhlich mitten durch. Sofort schmatzt das Wasser auf den nächsten Metern in den nun wieder völlig sauberen Schuhen.

Bild 2 Seite 28 Dési

Bild1 Seite 28 Dési

Fotos: Désirée Sauren

Wie weit ist es noch? Noch drei Kilometer. Irgendwann müsste doch Dietfurt zu sehen sein. Noch zwei Kilometer. Jeder Meter zieht sich, genau!, wie Kaugummi. Dann sehen wir Dietfurt! Endlich, endlich. Endlich. Jetzt müssen wir doch nur noch locker leicht ein paar Minuten am Fluss entlang… denkste! Tatsächlich geht’s noch mal rechts auf einen Berg hinauf. Noch einmal Stockeinsatz, noch einmal Höhenmeter, noch einmal Single-Trail. Aber so wild ist es dann auch wieder nicht.

Nun befinden wir uns quasi direkt über Dietfurt und müssen noch den richtigen Weg hinab finden.

Dann geht alles ganz schnell. Schon sind wir im Ort, schon sehen wir bereits bekannte Gassen. Da, der Weg zur Schule! Und da ist die Schule und da kommt auch schon Gerhard heraus und applaudiert und freut sich, ebenso wie ein paar Umstehende. Wir gehen brav in die erste Etage, wo sich die Ziellinie auf der Türschwelle zum Race Headquarter befindet. Désirée und ich finishen den Jurasteig Nonstop Ultratrail 2023 über offiziell 239 Kilometer nach 47 Stunden und 24 Minuten.

Danach

Der Rest ist einfach nur schön, auch wenn das meiste davon deutlich länger dauert als sonst und auch manchmal weh tut. Jonathan kommt zur Ziellinie, er hat auf dem Track unser Finish gesehen. Er hat den Lauf gewonnen in 36:29 h – wow, wie geil ist das denn! Richtig, richtig starke Leistung und vor allem: durchgezogen! Denn gefinished hat nicht mal die Hälfte der Starter:innen.

Nun essen, trinken, Sachen aus dem Auto holen, Auto umparken, Hotel beziehen, duschen, eine halbe Stunde schlafen, aufstehen (auch, wenn es schwer fällt), wieder rausgehen, Finisher-Jacke bedrucken lassen, Eis essen gehen mit Dési und Jonathan, zur Siegerehrung gehen, dort alkoholfreies Bier trinken und gebührend alle Leute abfeiern, die dort sind und besonders die, die etwas gewonnen haben (Jonathan Gesamtsieger über 239km, Désirée 3. Platz bei den Frauen). Dann einige Leute verabschieden, zurück zum Ziel gehen, Pizza essen in der Turnhalle auf Bierbänken sitzend, Bier mit Alkohol trinken, sich von noch mehr Leuten verabschieden, zurück ins Hotel gehen. Nun erst alle Nachrichten beantworten, die sich die letzten zweieinhalb Tage angesammelt haben. Dabei Fernsehen gucken und noch ein paar Süßigkeiten aus dem Dropbag essen

Schlafen. Tief, fest, traumlos.

Ich bin sehr, sehr dankbar für diese Reise.

Für die Erkenntnis, dass ich zwei Tage und zwei Nächte ohne eine Minute Schlaf durchlaufen kann.

Für das Erleben dieses tollen Wanderwegs, der so abwechslungsreich, kurzweilig und schön ist.

Für die Erfahrung, dass Training und Topform vielleicht nicht das Entscheidendste ist, um einen solchen Lauf zu finishen, sondern die zuverlässige, belastbare Seilschaft mit einer Gefährtin.

Für die lieben Menschen, die von zu Hause beim Live Tracking mitgefiebert und an diesem Wochenende kaum etwas Anderes geschafft haben. Ich danke euch!

Für die wundervollen Helfer:innen an den VPs, die in großer Ruhe und Freundlichkeit alles für uns Läufer:innen tun, insbesondere dem Orga-Paar Margot und Gerhardt Börner, die sich nach diesem Jahr aus der ersten Reihe verabschieden werden.

Für die Mitläufer:innen, natürlich allen voran Dési, aber auch Jonathan, mit denen ich noch viele, viele Jahre von diesen gemeinsamen Erfahrungen zehren kann: „Wisst ihr noch, damals beim JUNUT…?!“

Bild Seite 30 Dési

Foto: Désirée Sauren

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