Laufgemeinschaft der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung e.V.

WiBoLT: Wiesbaden Bonn Lauf/Trail – Rheinsteig Nonstop; 320Km und 11700Hm

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Mein Name ist Nicole und da geht’s lang – Foto Anke Wahrlich

Es ist Samstag Abend, der 22. Juni 2019 gegen 19:20 Uhr, als ich den Marktplatz von Bonn erreiche. Endlich!!! Es ist vorbei. Geschafft!!! Ich vergesse meine Uhr zu stoppen. Wie immer. Es ist mir egal. Ich bin da. Habe ich mich gerade auf den letzten 10Km noch groß gefühlt und den Wahnsinn selbst nicht verstanden, musste schlucken und hatte Tränen in den Augen, so fühle ich mich jetzt etwas klein und verloren auf dem Bonner Marktplatz. Erschlagen von mir selbst. Michael Eßer erwartet mich mit den Worten: „Endlich!“ Mehr gibt es auch eigentlich erstmal nicht zu sagen. 947 Km habe ich gebraucht, um hier anzukommen. Verdammt viel. Verdammt lange. Dreimal ging die Sache nämlich deutlich in die Hose.

Nici32015 war´s, als ich mich mutig zum WiboLT angemeldet hatte. Na klar, Das werde ich schon schaffen. Ich war mir sehr sicher. Haben ja schon Andere geschafft. Damals hatte mich die Strecke mitten im Wald vor Rengsdorf zusammengefaltet. Heulend saß ich auf einen Baumstamm und telefonierte mit einem Lauffreund. Bat ihn mich da raus zu holen. Ich war platt und fertig. Ende im Gelände. 205Km etwa... waren es. Meine Sachen holte ich in Feldkirchen (Km 231 – Drop Station und VP) ab. Gegenüber der Loreley hatten wir uns dann eine Unterkunft gesucht und ich weiß noch, wie ich in Gedanken nicht fertig war! Und es sollte noch lange nicht fertig werden. Ich war oben auf dem Weg. Gefangen. Jahrelang. Ich weiß auch noch, dass ich Fisch gegessen und einen leckeren Wein getrunken hatte. Am nächsten Tag waren wir noch einmal beim Niederwalddenkmal oben. Was für eine geile Aussicht hier. Ich muss noch mal her, denke ich. Jeder muss da doch hin! Allen habe ich vom Rhein und dem Rheinsteig erzählt. Auch wenn sie es nicht wissen wollten. War mir doch egal. Ich habe nicht verstanden, dass man da nicht hinfährt. Ok ‘n kleinen Knall könnte ich da schon haben. ´n Treffer eben. Freundlich einen an der Waffel. Das Gedicht von Heinrich Heine war in mir eingebrannt. Gelernt. Loreley. Is‘ ja klar. Genauso wie die Aussichten mit den vielen Burgen. Ich kam mir vor wie eine Prinzessin oder eine „Ritterin“. Viel früher etwa 10 bis 12 Jahre zuvor bin ich da unten schon lang gefahren. Fasziniert von der einmaligen Landschaft. Dem Welterbe Oberes Mittelrheintal.

2016 stand ich dann wieder tapfer und sicher am Start. Jetzt klappt es ja auf alle Fälle. Muss ja. Ich war angespannt nervös. Meine Beinmuskeln verkrampft. Los ging es. Endlich. Wird schon werden. Nach 30Km hatte ich die Verspannungen raus aus dem linken Bein. Rechts... Mist. Es wurde schlimmer. Mein Schienbein jammerte jetzt laut. Ey, man, nach 30Km schon. Heute weiß ich auch, das Calfs Mist sind. Und wahrscheinlich waren die Schuhe auch nicht so das Richtige. Ich zog diese halben Wadenbeißer aus und schnitt die Socken ein. Irgendwann lief ich barfuß im Schuh. Dann schnürte ich die Schuhe anders und hinter der Loreley (Km 107) fing ich an, mir einen Salbenverband zu machen. Ich massierte immer wieder an Wade und Schienbeinmuskeln und lief auf den Ballen bis ich nach 191Km in Vallendar unter den Verband schaute. Die Fußstellung auf den letzten 5Km bis dahin... puhh. Ich wusste nicht, dass man so eine Fehlstellung haben kann. Mein Unterschenkel glühte und über gut 25cm sprang mir eine rote, dicke Entzündung ins Auge. Ich musste einsehen, dass das so nicht mehr lange gut ging. Gut im Sinne von noch nicht gebrochen... Wieder holte ich mein Gepäck in Feldkirchen ab oder besser, ich wurde hin kutschiert. Diesmal bin ich gleich nach Hause und habe mich versteckt, war aber noch 2 Wochen beschäftigt mit der Entzündung und dem Zähne-zusammenbeißen.

2017 klappt es aber sicher. Schon, weil ja alle guten Dinge 3 sind. Voller Hoffnung und mit viel Herz ging ich wieder ran an die Sache. Schlafen wollte ich in Feldkirchen. Mir ist es unterwegs nicht möglich, da ich nie eine Betreuung hatte und somit nicht im Auto schlafen kann, was erlaubt ist. Auf einer harten Bank ging es aber auch nicht. Diese Powerminutennickerchen sind mir ein Rätsel, aber gerne übe ich weiter. Als ich zwischen 19:30 und 19:45 Uhr in Rengsdorf ankomme und kurz danach weiterlaufe, denke ich noch, dass ich gegen 22:00 Uhr im 16Km entfernten Feldkirchen ankommen werde. Doch ich war nun zu lange wach und irrte leicht wirr durch die Gegend. Es war Freitag/Samstag Nacht und ich hatte seit Mittwochmittag kein Auge zugetan. Es wurde 1:30Uhr und ich verstand die Welt nicht mehr, geschweige denn mein Navi... quatschte irgendwas Wirres, als ich im VP ankam und fiel auf die Matte. Um 6:00 Uhr zur Cutt off Zeit wurde ich geweckt. „Nicci willst du jetzt weiter?“ Aus dem Tiefschlaf schrecke ich hoch mit dem Wort: NEIN!!! Später wusste ich nicht, warum ich nein gesagt hatte, aber damit war ich raus... Als ich meine Schlafnot dem Mann der ersten Frau mitteilte, grinste er nur und sagte: „Manche haben es halt besser als du!“ Danke und Tschüß. Im Herbst 2017 beschloss ich dann, dass meine längste Strecke der JUNUT sein wird oder alles was ähnlich lang ist, also max. 240/250Km, denn zwei Nächte konnte ich durch machen. Alles andere naja...Man muss ja auch nicht alles können... auch wenn man will. Ich mach ja dann später eh wieder Leichtathletik und renne 10000m Seniorenmeisterschaften... doch bestimmt!

So war es auch nicht weiter wild für mich, dass 2018 gar kein WiBoLT stattfand. Ich brauchte es nicht mehr. Was für ein Glück. Wenn da bloß nicht immer die Rheindokus, das Gedicht, die Lieder, die Freunde und die Bilder im Kopf wären. Ich war nicht fertig. Ich gebe nicht einfach so auf.... Na egal, das mache ich nicht mehr. Nie wieder... bis... bis 2019.

Und nein es war nicht lange geplant. Ich hängte es nicht groß an die Glocke und nur durch die KH Schließung in Hersbruck, konnte ich so viel Frei am Stück im Juni so plötzlich haben. In Herschi ging schon lange nichts mehr. Wir waren am Limit. Als wir mitgeteilt bekamen, dass wir hier in 8 Wochen schließen, zog es mir 3 Tage vor dem JUNUT die Füße weg, aber ich lief ihn trotzdem, weil, wenn ich auf dem Sofa sitze, hilft das auch Keinem und außerdem war ich mir sicher, dass ich ihn schaffe. Ich hatte 4 Monate dafür trainiert. Das ist mein JUNUT. Mein 7. Start. Meine JUNUT-Familie. Ich lasse es mir nicht nehmen, wenn ICH es WILL. Mein Kopf fühlte sich leer an. Alles ging automatisch. 42 Stunden und mehr ratterte es unentwegt im Hirn und ohne es zu wollen, dachte ich 2Km vor Dietfurt: dieses Jahr schaffe ich den WiBoLT. Keine Ahnung wo der Gedanke jetzt her kam. Ich brauchte nur frei. Als ich dort in Dietfurt ins Ziel komme, ist einer meiner ersten Sätze dann zur Chefin Margot: Ich verstehe nicht, dass ich schon da bin. Ich habe doch noch nicht zu Ende gedacht. Ich war vielleicht auch etwas wirr, aber das erklärt sich sicher auch im langen wach sein. Anfang Mai hatte ich den Dienstplan und es hatte geklappt. Im Gesichtsbuch schrieb ich nichts. Ich kann ja immer noch was schreiben, wenn ich Feldkirchen verlasse, so dachte ich. JUNUT Chef Gerhard entdeckte mich aber dennoch und fragte ca. 2,5h vor dem Start per Messenger, ob ich denn nur zur Zierde auf der Startliste stehe oder jetzt wirklich in Wiesbaden schwitze. Ich fand erst mal, dass ich eine schöne Zierde bin und schrieb dann die Wahrheit. Ich wollte, wenn es geht, bis Sonntag 12:00 Uhr in Bonn sein und wenn nicht auch 2 Stunden später mit DNF. Ich mach das jetzt zu Ende. Es ist eine Angelegenheit zwischen mir und dem Weg. Ganz langsam und mit dem Ziel dieses zu erreichen. Kein Druck. Kein Nichts. Vier oder Fünf andere Lauffreunde hab‘ ich auch noch eingeweiht und der Rest der Welt war mir erst mal herzlich egal, weil ich war beschäftigt und offline. Rennhandy an mit ein paar wenigen wichtigen SMS Nummern (man freut sich ja doch mal, wenn eine Nachricht aus der Zivilisation eintrifft...) und Wischfone aus und ab ins Abenteuer. Kurz vor dem Start lernte ich noch meine Vereinsmitglieder Klaus mit seiner Cathrin und Stefan kennen und unterwegs turnte auch Michael Vorwerg immer mal in meiner Nähe rum. Cathrin meinte vor dem Start, dass wir unbedingt ein Bild machen müssen, weil der Michael (Irrgang war wohl gemeint, der Sportchef der LG Ultralauf) freut sich dann. Na wir wollen ja, dass er sich freut und posieren etwas rum. Ich mag ja eigentlich gar keine Vorstartbilder, aber in Anbetracht der Tatsache, dass man bei so einer Streckenlänge wohl vorher besser aussieht als hinterher, war es mir diesmal ausnahmsweise egal. Noch hier und da ein Wiedersehen, Hallo und Gedrücke. Ach, wie schön. Sind ja auch immer die gleichen Mittäter. Den Tracker an und dem Briefing gelauscht. Ich bin wieder hier!

Da stehe ich nun. Eingehüllt in Demut, einer Menge Respekt vor dem Weg, vor mir und dem Ungewissen. Vielleicht auch ein bisschen mit „Hosen voll“, aber ich war zumindest mutig, fand ich. Mit den ersten Worten von Michaels Briefing im Kopf, machte ich mich zusammen mit meinen Artgenossen auf den Weg. Die Worte sollten mich noch einholen: „Ihr werdet euch verlaufen!“ Ja, da flutscht die Motivation erst mal drüber. Man will so was ja nicht hören. Verlaufen? Ich doch nicht! Bei 33 Grad rollten wir vorsichtig davon. Bloß nicht so doll die Füße heben. Ich will ja nicht unnütz Kalorien auf den Weg schmeißen. Schön ruhig. Ich habe Zeit. Richtig viel Zeit. Der erste VP wird in Schlangenbad erreicht. Meine Beine fühlen sich gut an, sind leicht und ich lasse mich gerne überholen. Noch weiß ich, was ich tue und freue mich auf die Nacht. Auch weil es hoffentlich dann etwas mehr Luft zum Atmen gibt. Bei so einer langen Strecke, dachte ich mir, dass es reicht, wenn ich so nach 2:30h in Schlangenbad bei Km 16,7 bin. Das reicht vollkommen aus. Wie gesagt, ich bin geizig mit Kalorien. Nichts wegwerfen. Und so beobachte ich gerne die Anderen und lass mein Gehirn denken, was es will. In Schlangenbad angekommen, sitzen Michael Eßer und Ulrich Hansmann (quasi die Chefs) vor der Pizzeria und haben leider keine Pizza vor sich. Schade, mein Plan war eigentlich mir ein Stück zu klauen, aber ein Keks und ein warmes Bier tun´s ja auch. Man muss bescheiden sein. Hilft ja nichts. Noch ist es hell und nach dem kurzen Stopp geht es weiter auf die längste Etappe. 38Km sind es jetzt bis zum Niederwalddenkmal und ich freue mich jetzt schon auf diese Aussicht, die auch mitten in der Nacht einmalig ist. Aber erst mal weiter. Plötzlich kommt mir immer wieder in den Sinn, dass es so schön ist, da zu sein, wo ich gerade bin. Ich habe es vermisst. Hier im Moment zu sein. Es ist wieder anders als beim JUNUT im April. Ich bin auf der Strecke. Konzentriert auf den Weg und mit mir. Ich will nur anders als beim JUNUT und hier zuvor Pausen machen. Ich bin unterwegs. Ich bin hier. Ich bin auf dem Rheinsteig. Der Alltag ist weit weg und nicht wichtig. Bis Kiedrich ist es hell. So ungefähr. Ich laufe und gehe im Wechsel. Laufwandern oder Speedwandern nenne ich das. Trinke, esse, schaue und genieße die Weinberge um mich herum, aber auch die Wälder. Kurz vor Kiedrich spuckt mich der Wald aus. Ein Traum die Lage und der Moment, vorbei an einer Burgruine, runter über Treppen und ein kleines Stückchen durch den Ort. Ich habe nichts vergessen. Die Luft ist tropisch und in der Ferne blitzt immer Mal der gesamte Himmel hell auf. Gigantisch und groß. Das geht bis 3:00Uhr gut, ohne dass ein Tropfen fällt. Oh Gewitter, bleib bitte da, wo du bist! Glücklich bin ich auch mit meinem Rucksack, der leer etwa nur 280gr wiegt und außerdem gibt es ja nicht viele in Größe XS und 20L für Mädchen. Um an manche Dinge wie Handy, Magnesium, Salz, Basica und Gedöns schnell ran zu kommen, habe ich noch ‘ne Bauchtasche um. Stören die Stöcke, was sie bei mir manchmal tun, kann ich sie schnell vorne oder an der Bauchtasche befestigen. Ich bin froh, dass das passt. Da kann man sich schon mal freuen. Durch viele Weinberge geht es so dahin. Klöster, Weingute, Schlösser wechseln sich ab. Obwohl es mitten in der Nacht ist und ich jetzt allein unterwegs bin, erkenne ich den Weg zwischen den Weinbergen wieder. Ich beschließe, mich mal näher mit diesen Weinen zu beschäftigen, wenn ich wieder daheim bin. Ich glaube, diese Weine haben es sich jetzt bei mir auch verdient. Ein kleines bisschen später als gedacht treffe ich nach 2:40 Uhr oben am Tempel vor dem Niederwalddenkmal ein. Ich freue mich, auch Klaus dort lebend zu sehen und genieße mit einer Kartoffelsuppe und ‘ner Flasche Iso die Aussicht im Campingstuhl. Herrrrlich. Das ist so eine Stelle zum Zeit anhalten. Bald schon aber breche ich wieder auf. Kurz dahinter geht es am Niederwalddenkmal vorbei. Das Denkmal liegt oberhalb der Stadt Rüdesheim und soll an die Einigung Deutschlands von 1871 erinnern (fertig gebaut 1883). Es gehört seit 2002 zum UNESCO Welterbe Oberes Mittelrheintal. Und genau da befinde ich mich nun bis Koblenz. Die nächste Station ist die 20Km entfernte Weinstadt Lorch bei Kilometer 75 etwa. Wann ich genau da war, weiß ich nicht mehr. Am VP traf ich Hannes und Michael Vorwerg und ich weiß noch, dass ich ein halbes Brötchen, einen Pfeffi Tee, Cola mit ‘n Weizenbierschuss und ein Rührei hatte. Ich frühstücke sonst anders. Hannes und Michael ließ ich erst mal ziehen. Ich wollte unterwegs nicht unbedingt viel reden. Mir reicht ab und zu mal und ich hatte ja auch meinen Rhythmus. Bald machten sie eine Zwangspause und ich wackelte vorbei. Es ging jetzt heftig hoch in den Weinbergen. Waden wurden gedehnt, die Sonne knallte und der Sauerstoff war knapp. Ich freute mich jetzt auf die Loreley und ein Wiedersehen mit Eva, die dort den VP mitbetreut hatte und fotografierte. Sie war eine, die wusste, dass ich da bin und jetzt komme. Im Kopf besangen jetzt Dschingis Khan die Loreley im Wechsel mit dem Gedicht von Heinrich Heine. Manchmal sang ich leise vor mich her. War mir doch egal. Der Tag war schön, sonnig und verdammt steil die An und Abstiege. Hannes und Micha ließ ich wieder vorbei. Ich brauchte auch eine kleine „Zwangspause“ und ich wollte mich nicht drängen lassen. Ich hatte Zeit. Is‘ ja noch nicht Sonntag. Gegen 12:30Uhr wollte ich da sein. Es war wohl etwas früher, als ich Eva direkt in die Arme lief. Kilometer 107. Dropdingsstation. Erstmal was trinken, Tasche schnappen und ab unter die Dusche. Frische Klamotten, überall die Akkus gewechselt, neues Tape an die Knie, Riegel auffüllen, einmal über die Mini Blackroll gerollt am Boden, Zähne putzen... als fast neuer Mensch und ohne Eile ging ich wieder zum VP. Eva wartete schon und bediente mich mit Suppe, Kaffee und was anderes zum Trinken. Es war schön, sich wieder zu sehen und zu quatschen. Klaus, Michael und Stefan waren auch irgendwie mit am Tisch. So ganz habe ich aber nicht auf sie aufgepasst, weil ich war ja mit mir beschäftigt. Noch was für unterwegs in den Rucksack vom VP-Tisch gestopft, noch mal gedrückt... alles Gute und Tschüss, weil ich muss ja weiter ziehen. Auf geht’s. Ich wackel so vor mich hin, muss erst mal wieder in Schwung kommen. Aber mit zunehmendem Alter hat man da ja Übung drin. Mit dem in Gang kommen. Nächster Stopp: Uschi. Ja, genau. Es geht zu Uschi. Uschis Wanderstation in Oberkestert bei Kilometer 124. Vorbei an Burg Katz, dem Dreiburgenblick und später auch der Burg Maus, logisch finde ich. Keine Katze ohne Maus. Auf der anderen Rheinseite stehen auch Burgen. 40 sollen es zwischen Rüdesheim/Bingen und Koblenz sein. Weltweit die größte Dichte. Glaube ich... Wie es hier wohl früher war? So ganz kann ich erst mal nicht dran denken, denn mein Rucksack scheuert an der rechten Schulter. Als ich anhalte, ein Pflaster raus krame, kommt Klaus an mir vorbei. Als er merkt, dass ich noch lebe und ich sage, dass es nicht so schlimm ist, murmelt auch er etwas von Uschi. Jepp, bis gleich! Der Schulter ist das egal, wo es hin geht. Ist zwar jetzt aufgescheuert, aber versorgt mit Pflaster. Passt schon. N bisschen Schwund is‘ ja immer. Draußen weist die Schwester von Uschi Jugendliche auf den Zeltplatz ein und mich mit strengen Worten im leichten Befehlston in die Wanderstation. Da gehorche ich doch gerne. Man will ja auch keinen Ärger. Ich komme kurz nach Klaus und knapp vor Michael dort an. Aus dem Kühlschrank springt mich ein Paulaner Weizen Zitrone ohne Umdrehungen an und Uschi schmiert mir noch mit Liebe ‘ne Käse-Salamistulle. Nie war ‘ne Scheibe Brot so lecker. Michael nahm ein Weizen und ein Bett und Klaus ein Weizen ohne Zitrone, dafür aber mit Käsekuchen. So unterschiedlich kann Abendessen sein.

Bald bin ich wieder aufgebrochen und es dauerte nicht lange, bis die ersten Tropfen fielen. Schnell wurde ein heftiger Regen draus und da es mir zu warm war für Gore Tex Klamotten, hatte ich griffbereit einen Einmalregenponcho, gleich neben der Notfalldecke im Rucksack und zog ihn geschwind drüber. Es goss wie aus Kübeln und der Weg, der jetzt auch schmal war, wurde sofort seifig. Der ausgetrocknete Boden konnte das Wasser nicht aufnehmen. Vorsichtig tippelte ich konzentriert auf den nächsten Schritt über die Wege und überholte wieder Klaus. Kurz hinter Burg Liebenstein, bei Kamp Bornhofen war der nächste VP. Verpflegungspunkt war vielleicht etwas übertrieben. Ein großer Wasserkanister stand bereit für uns. Wasser auffüllen war wichtig, denn bis Braubach bei Km 160 und Halbzeit dauert es noch bis kurz nach Mitternacht. An manchen Stellen ist es weiterhin glatt und stürzen könnte man locker hier und da. Dafür ist die Luft herrlich. Endlich mal Sauerstoff. Auf einer Bank ziehe ich mich um und an. Die Socken sind mir zu kalt und nass, also mit einen doofen Bauchgefühl diese aus (ich trage seit dem Start Kompressionsstrümpfe...) jetzt kommen die Wasser“dichten“ und wärmeren an die Füße und vor allen ein langes Hemd, Poncho aus und ‘ne Regenhose an. Nicht wegen des Regens. Der hatte aufgehört, aber auf den schmalen Pfaden hängt so viel klatschnasses Gras drin... brrr... kalt, nass, doof. Da war an so manchen Stellen gar kein Weg zu sehen. Der ganze Rheinsteig eine Wiese. Wieder beginnt eine Nacht und gegen 0:30Uhr bin in Braubach. Natürlich nimmt der Weg noch die Marksburg mit und diese ist eingepackt im Nebel. Wüsste ich jetzt nicht, wo ich lang muss und hätte kein Navi, ich hätte es nicht so schnell gefunden. Denn: „Wie sie sehen, sehen sie nichts!“ In Braubach gab‘s zur Abwechslung mal keine Suppe, sondern ‘n Stück Kuchen, Tee und Kaffee. Ich ziehe die nassen kalten Stützstrümpfe wieder an, da trotz Einschneiden der Socken mit einem kleinen Taschenmesser, der Unterschenkel sehr leicht geschwollen ist. Vielleicht liegt es auch eher am Kopf und dem Dejavue. Aber so ist es besser. Hannes meinte jetzt, er kommt mit mir mit. Ääähm, ok. Gegen 1:00 Uhr brechen wir wieder auf und vor uns liegt eine kurze Etappe bis zum VP Ruppertsklamm bei Km 170. Die Zeit verging wie im Fluge und der Weg durch die Klamm auch. Der ist da immer anders, je nach Wasser, welches von oben sich seinen Weg bahnt durch die Schlucht. Springen, laufen, gehen von links nach rechts und wieder zurück und am Seil sorgen in der dunklen Nacht für Abwechslung. Leider ist das ja immer so nach 20min vorbei und wir werden mit einem Lagerfeuer und einem richtig guten Buffet erwartet. Mitten im Wald auf einer Hütte und vorher wird Petra ordentlich gedrückt, eine weitere Freundin, die hier mit dem Touristbüro Lahnstein das Ganze organisiert. Und obwohl ich mir mehr Zeit lasse, war ich noch nie so schnell hier oben an diesem VP. Keine Ahnung... läuft halt. Am Feuer ist es mir zu warm, weil Hitze habe ich seit Jahren ab und zu selber. Der Kaffee und der Imbiss tun uns gut und damit wir unterwegs nicht verhungern, sollen wir noch was einpacken... gerne doch, weil man weiß ja nie. Nächster VP Vallendar bei Km 191. Vorher wartet noch Koblenz auf uns. Hannes legt sich kaum am Rhein angekommen auf eine Bank ab. Ich laufe weiter am Rhein entlang zur Festung Ehrenbreitstein. Man, was bin ich hier damals beim ersten Mal umhergeirrt und oben auf dem Plateau erst. Jetzt gehe ich sicher meinen Weg trotz Baustellen, aber es zieht sich. Ich akzeptiere es, dass ich auch mal gefühlt ewig gehe und versuche dies schnell zu tun. Ich bin ab jetzt bis Feldkirchen in einem Bereich, wo mir der WiBoLT gezeigt hat, wer hier der Stärkere ist. Schwer ist somit der Weg nach Vallendar und die Kilometer sehr lang. Die Sonne knallt. Ich hab ein Tief. Dort versorgt mich erstmal Cathrin und geht ein Brötchen kaufen, schmiert es mir, während ich im Stuhl liege, Gemüsebrühe schlürfe und Käsestangen knappere. Zum Glück kann mein Magen alles und wenn nicht, wenn was drin ist, kann man besser kotzen. Ohne tut es weh. Hatte ich auch schon und ging dann auf den Kreislauf. Aber zum Glück bleibt alles drin. Das Brötchen ist für unterwegs und nach 30min etwa breche ich wieder auf. Alles ist wieder im Lot. Weiter. In Sayn und das ist schon lange vorher im Kopf geplant, wird ein Eis gekauft. Wie ich mich da drauf gefreut habe. Kleine Dinge werden groß unterwegs und nehmen an Bedeutung zu. Der Weg bis Rengsdorf zieht sich und dann darf man auch noch mal bergab und um den Ort herumlaufen und wieder aufsteigen. Wenn es mir nicht gut geht, beschließe ich nach 50 bis 55min je nachdem, wann ein Baumstamm oder eine Bank kommt, mich 5min hinzusetzen. Also einmal pro Stunde. Kurz sitzen, Rucksack ab, Pipipause, Waden leicht massieren, dehnen und manchmal auch Blockierungen lösen und liegen dabei... Je nachdem. Ich schaue auf mein Handy. Dieter Ladegast hat mir geschrieben. Mir laufen die Tränen runter, denn vor ca. 10Km habe ich mir gedacht, was soll der ganze Scheiß. Ich könnte doch einfach nach Hause gehen, 10000m oder Marathon laufen, dafür trainieren und wieder fliegen. Ich denke an meine Leichtathletik-Zeiten und den 36:40min über 10000m oder der 2:52h über Marathon, aber ich denke nicht wirklich ans Aufgeben. Ich mache einfach weiter. Ich kann nur nicht mehr fliegen. Ich bin gerührt über diese Nachricht. Die hat mir so sehr geholfen und das Wissen, dass doch liebe Menschen nach mir schauen und mich per Tracking verfolgen. „Halt durch, liebe Nici! Trotz dieser Sch.... hitze. Viele denken an dich und hoffen, dass du dieses Monster bewältigst.“ Immer wieder kamen mal Nachrichten und Grüße vom „JUNUT“ und von Bernd. Immer las ich sie mindestens doppelt. Ich konnte nur nicht so viel antworten, versuchte aber ein Lebenszeichen zu geben. Ich hatte jetzt so eine Nachricht gebraucht und beschließe sie immer wieder zu lesen, wenn es schwer ist. Es ist so ein unendlicher Weg in den Ort hoch und rein. Was für eine Überraschung dann als mir Stefan Lang entgegenkam. Ich war gerade mental auf 180, weil ich mich kurz verlaufen hatte. Stefan meinte nur: hast du auf dein Navi geschaut? Äääähm... nein. Na ein höherer Puls sorgt ja auch dafür, dass man wach ist. Ich Depp. Ich hab‘s vergessen. Müde halt. Diese Anspannung wird sich wohl erst legen, wenn ich Feldkirchen verlasse. Die Sonne knallt. Der Käsekuchen auch. Voll lecker und etwas kühl im VP Raum. Das tut gut. Wasser auffüllen und Iso rein in die Frau. Wir verabreden uns für den nächsten VP. Auf geht’s nach Feldkirchen. Was für ein langer Latsch. Es ist Freitagnachmittag und ich bin mehr als 50 Stunden wach. 54 als ich in Feldkirchen eintreffe. Vorher telefoniere ich noch mit Dieter L. und stelle dumme Fragen, die er mir aber in aller Ruhe beantwortet. („Dieter siehst du mich? Wo ist der Weg? Ich verstehe das nicht?! Und: Wo muss ich hin? - ach da ist er ja... sorry... so in etwa klang das) In Feldkirchen bin ich sehr konzentriert und durchgeplant. Es läuft und nach duschen, verpflastern, Rucksack rüsten, Lampen, Navi und so weiter, einen halben Radler, lege ich mich hin und schlafe sofort für 3 Stunden ein. 23:15Uhr klingelt mein Wecker und ich sehe bestimmt aus, wie eine überfahrene Schildkröte. Alles geht automatisch. Kurze Zeit später sitze bei Nudeln, trinke mein restliches Radler und noch vor Mitternacht verlasse ich den VP. Ich spüre ein leichtes Grinsen im Gesicht. Ich bin mir sicher, ich schaffe es. Als ich auf mein Handy schaue, sehe ich eine Nachricht vom JUNUT Chef Gerhard. Ich antworte beim Gehen. Und auch Bernd war jetzt am Rheinsteig gelandet und stand in Arienheller... irgendwo. Die Nacht wird lang, klar und dunkel. Ich habe immer mal wieder Verlaufer drin. Nicht viel, aber nervig. Dennoch bin ich innerlich ruhig. Nächster VP Arienheller. Irgendwie hatte ich im Kopf aber Rheinbrohl, einen Ort davor auf dem Schirm. Das entpuppte sich als wahre Geduldsprobe. In Arienheller war es leider noch nicht hell, darum konnte ich das Auto von Bernd nicht sehen. Der VP war ein Unbemannter. Eine Bank mit viel Essen und Trinken. Der Pfeil auf dem Boden lud direkt zur Drehung ein und einem weiter. Ich hätte so gerne einen heißen Tee gehabt. Hatte es mir stundenlang so vorgestellt. Ok. Is nicht. Geduld! Weil geht ja auch ohne. Aber wo war Bernd? Ich rief ihn an, da war ich schon etwa wieder einen knappen Kilometer weiter. Ich dachte er kommt noch. Wieder war ich auf 180, denke, ich hab‘ was falsch gemacht, während er verschlafen gerade wohl nicht wusste, wo oben und unten ist und gar nicht wirklich antworten konnte. Der Morgen kam schnell. Ich war im Tritt und ich war noch nie so weit wie jetzt. Auf nach Linz. Ich freute mich auf Karen und Thorsten. Dort angekommen, reanimierte mich die Suppe und wie ich da so die letzten Löffel mit halben Brötchen verdrückt hatte, kommt doch der Klaus angewackelt. Das war das letzte Mal, dass ich ihn sah. Km 275. Karen und Thorsten noch mal gedrückt. Jetzt kommt das Siebengebirge. Bis Rhöndorf zieht es sich. Ich stecke mir das erste Mal meinen MP 3 Player in die Ohren und suche was jetzt Passendes und wo mir nach ist. Ich höre und singe laut „Pur“ mit. Abenteuerland, Lena, Prinzessin... lange nicht gehört. Es gefällt mir jetzt und ich haue schwungvoll die Stöcke in den Weg. Die Erpeler Ley verwirrt mich etwas. Die Aussicht nicht. Die ist wie so oft einfach geil. Es wird wieder heiß und die Anstiege nehmen oft kein Ende. Ich fluche staunend vor mich her. „Das kann doch nicht sein! Hinter dieser Kurve muss ich doch oben sein... schade doch noch nicht...“. Ey man, ich kann gleich nicht mehr, echt jetzt. Weiter geht es nach Rhöndorf. Das ist so was von brutal. Ich frage Dieter per SMS, ob Beine eigentlich platzen können, weil ich mich frage, wie weit ich so gehen kann und was mit mir passiert. Er meinte aber, dass wenn dann seine und nicht meine platzen, wegen der Dicke. Aber ich weiß ja nicht. Meine Unterschenkel sind gefühlt auch doppelt so dick. Ich wundere mich, dass ich sie noch anheben kann. In Rhöndorf laufe ich fast Bernd um. Na endlich isser da! Ich beschäftige ihn gleich mal mit Wasser auffüllen und gehe in den kühlen Raum. Irgendwas ohne Umdrehungen bitte und ein Stück Melone geht rein. Mal kurz sitzen und dann kam der Moment, der Moment, wo ich den letzten VP vor Bonn verlasse. Und es wird sich noch ziehen. Oben am Drachenfels verlaufe ich mich, nachdem ich die Aussicht... ey booooh geil, aber leider war ich nachmittags da und gefühlt 1000 Menschen auch. Der Weg bergab war gesperrt und ich irrte dreimal müde zur Burgruine rauf und rum, starrte auf mein Navi, den Zettel und hab das nicht verstanden. Ich war verzweifelt. Menschenmassen liefen mich um und rempelten. Ich wollte jetzt bitte in den Wald zurück und alleine sein. Jetzt! In der größten Verzweiflung sah ich doch den Weg, lief runter und verlief mich dort noch mal... shit. Ich verstehe es nicht mehr so ganz. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren. Es ist heiß und ich träume von einem Eis. Bald hab‘ ich es wieder und es geht noch über den Petersberg. Ich brauche alle 30min für 3min ‘ne Pause. Das tut gut. Ich bin breit. Fertig. Auf einmal öffnet sich der Wald und ich sehe Bonn. Mir kommen die Tränen. Da vorne. Da!!! Ist es wirklich gleich vorbei? Ich will nicht, dass es vorbei ist! Ich quere eine Straße und sehe rechts ein Ortsschild. Bonn ist durchgestrichen. Alles verschwimmt. Es dauert noch. Menschen, die mir entgegen kommen, sehen seit Stunden gleich aus und Wege auch. Ich bin müde im Kopf. Und will nur noch absteigen. Was für eine Erlösung als ich das endlich kann! Eine Siedlung, die Telekom und aaaah Hilfe Menschen... ein Park. Ich wurschtel mich durch bis ich am Rhein bin, der leise rauscht wie ein Meer. So geradeaus. Lange geradeaus bis zur Kennedybrücke. Wie oft habe ich davon geträumt. Dann geht es da drüber, noch etwas auf der anderen Seite entlang und durch die Menschenmassen auf den Marktplatz. Ich bin da!!! Ich falle Michael entgegen, der mich begrüßt mit: „Endlich!“... Meine Zeit weiß ich immer noch nicht, aber ich hätte ab Feldkirchen mit etwa Mitternacht gerechnet. Es ist etwa 19:20Uhr und es ist Samstag! Ich hänge im Stuhl, bekomme ein schokoladiges Schokoladeneis von Bernd, ein Weizen und darf sitzen bleiben. 73 Stunden und etwa 20 Minuten hat die Reise von Wiesbaden nach Bonn gedauert. Ich begreife es nicht so ganz. Auch heute noch nicht. Ich bin noch am Rhein... Gefangen auf dem Weg... vielleicht für immer... stolz... groß und klein gleichzeitig... immer noch mit Demut und Abenteuerlust... draußen unterwegs... es war ‘ne geile Zeit.

DANKESCHÖN für die bekloppte Idee, da lang zu Laufen. Danke für den WiBoLT... und HERZLICHEN DANK an Margot, Gerhard, Dieter, Stefan und seine Mädels, Michael Eßer mit Team, Eva und Petra, Karen und Thorsten, allen Helfern an den VPs und Mitfieberern, Möglichmachern und vor allen Bernd, der extra für mich hochkam nach Bonn, um mich abzuholen und im Ziel zu sein. DANKE fürs Lesen und Allen die sich irgendwie gemeldet haben, um mir zu gratulieren.

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Ende.... Foto Bernd Mirbach

Text: Nicole Kresse, 10.07.2019

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