Laufgemeinschaft der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung e.V.

Text und Bilder: Michael Irrgang, 15.04.2024

Zu den Lebenszielen einer bestimmten Kategorie von Ultraläufern gehört das Finish des legendären Junuts; nonstop über den gesamten Jurasteig mit beeindruckenden 239 km und 7500 Höhenmetern. Schon lange war es mein Traum, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das Fenster von „zu unerfahren dafür“ und „zu alt dafür“ sich langsam schließt und so hatte ich mich vor einiger Zeit mutig entschlossen, dieses Jahr einen Start auf der langen Strecke zu wagen. Ganz gut über den Winter gekommen – was für mich jedes Jahr eine Herausforderung ist, da ich weder Kälte noch Regen, Schnee und Dunkelheit mag – erwischte mich im Februar eine Grippe, die mich für 4 Wochen vom Sporttreiben abhielt und gefühlt meinen Leistungslevel auf 0 senkte. In der unmittelbaren Vorbereitung standen dann Trail-Wettkämpfe in Lindlar und Attendorn an, die ganz gut klappten, aber ich merkte schon, dass ich kaum Höhenmeter trainiert hatte.

So trat ich mit mulmigen Gefühlen die Anreise an. Wenigstens war gutes Wetter – mein Wetter und die Strecke war vermutlich auch trocken und hart – mein Untergrund. Der Bericht von Matthias Kröling (hier klicken) beeindruckte mich sehr, denn bei solchen Bedingungen würde ich ein Finish für mich kategorisch ausschließen. Die Anreise mit Matthias und Manuel Kellermann gestaltete sich kurzweilig, Hotel war ok und Briefing mit Pastaparty waren ebenfalls gut. Viele Teilnehmer waren Wiederholungsstarter und kannten sich. Gerhard Börner, der Vater des JUNTS hatte letztes Jahr den Chefposten an Christian Bley-Unger mit Frau Catarina übergeben und das ganze alte und neue Orga- und Helferteam machte einen kompetenten und engagierten Eindruck, der dem der Läufer nichts nachstand. Die Atmosphäre war locker, denn alle wussten, worauf sie sich eingelassen hatten.

Der Start um 11 Uhr passte perfekt. So konnte man ausschlafen und in Ruhe den Tag beginnen.

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Die LG-Ultralaufstarter Matthias Kröling, ich, Nicole Kresse, Jörg Schirrmacher und Christoph Janthur kurz vor dem Start. Andere LGU-Starter befanden sich in den Startgruppen 9 Uhr und 15 Uhr.

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Eine größere Gruppe von vielleicht 50 Läuferinnen und Läufern machte sich auf, um ihre Ziele für die 104km-Strecke in Pielenhofen, 170km-Strecke in Kastl oder eben die ganze Runde mit Ziel in Dietfurt zu erreichen.

Ich hatte mir vorgenommen, den Lauf ohne Ambitionen zu genießen und ein paar Fotos unterwegs zu machen und so entstanden diese ersten Impressionen von der tollen Landschaft.

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Ich hatte eine grobe Schätzung aller Etappen erstellt und wollte für die 26,6 km mit immerhin 1.000 Höhenmeter nach Riedenburg ca 4:15 brauchen, war aber deutlich schneller und bereits nach 3,5 Stunden dort.

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Das lag in erster Linie daran, dass sehr viele Streckenabschnitte, die bergab gingen, gut laufbar waren.

Die zweite Etappe hatte eine Länge von 24 km und war wunderschön. Einige Bilder von diesem Abschnitt:

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Es dämmerte und die erste Nacht begann ganz harmlos.

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Nach etwa 11 Stunden erreichte ich Matting, die ersten Dropbackstation. Von hier geht es als Besonderheit mit einem Boot über die Donau.

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Nach 15:44 Stunden Laufzeit erreichte ich VP5 Pielenhofen bei km 103,7 war. Hier wurde sogar eine Massage angeboten, die ich im Nachhinein betrachtet, vielleicht besser einmal in Anspruch genommen hätte. Aber ich fühlte mich zwar schon etwas müde und angeschlagen, aber das war ja nicht wirklich überraschend und schien auch noch weit weg von einem kritischen Zustand. Die Nacht war allerdings kalt und zäh und so freute ich mich, als irgendwann die Sonne aufging und der zweite Tag begann.

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Immer noch war die Strecke gut laufbar und die Landschaft wunderschön.

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Allerdings wurden die Beine schwer und schwerer und außer flach wurde alles immer beschwerlicher. Irgendwann brachten mich mehr die Arme als die Beine berghoch und bergab schmerzte jeder Schritt in der Muskulatur. Wenig überraschend wurde ich immer langsamer und langsamer.

Bis nach Kastl, der vermeintlich nächsten Dropback-Station bei km 170 war es nicht mehr weit und dort wollte ich dann etwas länger pausieren, um mich zu erholen. Doch die Kilometer zogen sich und ich kroch gefühlt über den Wanderweg.

Kurz vor Kastl freundete ich mich mit dem Gedanken an, dort auszusteigen und klärte Plan B und C. Wie komme ich zurück nach Dietfurt? Darf ich nächstes Jahr noch einmal einen Start versuchen – dann besser trainiert? Eine vergleichbare Muskelverhärtung hatte ich schon einmal in Grenoble, bei meinem ersten alpinen 100-Meiler. Damals hatte ich auch selbst in einer dreistündigen Pause durch Massage und Dehnen den Zustand meiner Beinmuskulatur nicht wesentlich bessern können und konnte danach eine Woche mich nur eingeschränkt bewegen. Wenn das Bergablaufen nicht gut trainiert ist, fühlt sich das Laufen so lange gut an, bis das nicht mehr der Fall ist und dann ist ein schnelles Ende sicher. Kenn ich schon. Aber aufgeben wollte ich noch nicht, denn eine kleine Chance sah ich noch. Also erst einmal ab nach Kastl.

Dort teilte ich der Crew mit, dass ich wahrscheinlich aussteigen werde, aber zunächst einmal essen, trinken und mich ausruhen wollte. Und meinen Dropbag brauche. Dropbag? Hier gibt es keine Dropbags, sagte man mir. Mein Dropbag liege schon am übernächsten VP in Deining. Da hatte ich die Ausschreibung wohl nicht gut gelesen, bzw mir diesen entscheidenden Punkt nicht gemerkt. Tatsächlich aber steht im Roadbock beim VP 9 (Ziel 170) ein Kreuz bei Dropback und bei VP 5 (Ziel 100) nicht. Als ich in Kastl ankam, war es 17 Uhr. Ich brauchte für die bald anbrechende Nacht warme Sachen zum Anziehen, eine Lampe und musste meine Sonnenbrille durch die richtige ersetzen. Kurz gecheckt, ob mein Team Mauel/Matthias aushelfen konnten, aber die Fahrt von Dietfurt über Deining nach Kastl würde 2,5 Stunden dauern – völlig unzumutbar. Damit war das Thema erledigt, aber ich wollte ja sowieso aussteigen. Die Situation wäre noch um ein Vielfaches ärgerlicher gewesen, wenn meine Beine ok wären und ich wegen eines planerischen Fehlers abbrechen musste.

Hier hätte die Geschichte enden können und ich wäre der Depp der Nation, der sich beim wichtigsten Wettkampf des Jahres die Ausschreibung nicht richtig durchgelesen hätte. Doch die Fortsetzung ist anders. Das Team vom VP Kastl wollte das DNF unbedingt verhindern und schnell waren Armlinge, Jacke und eine Lampe organisiert. Realistisch betrachtet wäre die Garderobe (für mich) nicht warm genug gewesen, die Lampe vielleicht zu lichtschwach und mit der Sonnenbrille durch die Nacht hätte auch nicht funktioniert. Aber man hätte es probieren können, denn der nächste VP war nur 10,4 km entfernt und dann hätte man neu entscheiden können. Also erst einmal die Beine massieren, dehnen und in einer Saunaliege ein wenig ausruhen.

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Der Versorgungspunkt Kastl ist schlicht der Hammer! Die betreuenden Helfer sind unglaublich hilfsbereit und beim Essen und Trinken bleibt kein Wunsch unerfüllt.

Dann passierte das Unglaubliche, was wie ein Wunder aussieht. Eine Helferin steht plötzlich mit meiner Dropbag-Tasche vor mir. Der Fahrer für die Dropbags kam ungeplant vorbei und fragte, ob es Taschen von Abbrecher gibt, die ins Ziel gefahren werden sollen. Und er hatte natürlich meine Tasche dabei! Ich konnte mein Glück kaum fassen, tauschte einige Sachen aus und war mir in diesem Moment sicher, das Ziel zu erreichen. Alleine, um dadurch allen, die mich in dieser kritischen Phase mental und praktisch unterstützt haben, zu danken und zu zeigen, dass ihre Unterstützung nicht nutzlos war.

So verließ ich nach einer ca 1,5stündigen Pause den Versorgungspunkt mit dem Plan, die nächsten 30 km zu wandern und dem Ziel, im Zeitlimit Dietfurt zu erreichen.

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Die Nacht begann und es wurde kalt. Obwohl ich alles übereinander zog, was ich hatte, wurde mir kalt. Witzigerweise hatte ich zwei linke Handschuhe eingepackt – irgendwie war in meiner unmittelbaren Vorbereitung etwas falsch gelaufen. Angenommen, es gibt keine Zufälle, was hätte das dann zu bedeuten? Mit solchen Gedanken und Schlagermusik aus den 80ern verbrachte ich die Nacht und arbeitete Meter für Meter ab. Marschieren ist absolut nichts meins und erste Anzeichen von Shint-Splints zeichneten sich ab, aber ich hatte zum Zeitlimit genug Puffer und war gewillt, das Projekt jetzt durchziehen. Also vorsichtig weiter und weiter. An der Dropbag-Station Deinig,36 km vor dem Ziel, legte ich noch einmal eine einstündige Pause ein. Eigentlich wollte ich mich beeilen, aber schnell war bei mir gar nichts mehr. Weil das Wandern ganz gut geklappt hat, aber elend langsam war, ich beschloss, nachdem ich für die letzten 30 km mit einer kurzen Pause fast 8 Stunden benötigte, fortan zu versuchen, einfache Passagen zu laufen, was erstaunlicherweise sogar gelang. So konnte ich doch wieder etwas Tempo aufnehmen. Nicht, dass mir die Pace irgendwie wichtig war, ich wollte einfach nur schneller ins Ziel.

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JUNUT 18bAn die zweite Nacht und den dritten Tag habe ich zugegebenermaßen keine Erinnerung, Fotos gibt es auch kaum, aber irgendwann übertrat ich die berühmte Türschwelle, die das Ziel des JUNUT 239 km bedeutet. Im Ziel überwog die Dankbarkeit mein Gefühlschaos. Ich hatte das Finish nicht mehr in meiner Hand und habe nur dank der Unterstützung der Helfer am VP in Kastl und des unglaublichen Zufalls zu verdanken, dass das Dropbag-Fahrzeug vorbeikam den Lauf zu Ende bringen können. Die Selbstmassage, vorsichtiges Dehnen und die Entscheidung, zunächst 30 km zu wandern, waren wichtig, um physisch den Lauf zu beenden. Da hat mir natürlich meine Erfahrung geholfen.

Meine genaue Zeit und die Platzierung habe ich erst auf der Rückfahrt recherchiert – war mir nicht so wichtig. Platz 10 in 47:21 Stunden hört sich super an. Insgesamt gab es 44 Starter, wovon lediglich 26 das Ziel erreichten. Und hinter jedem dieser Namen steckt eine spannende Geschichte, die sich zu hören lohnt. Zwei - die von den Vereinskollegen Matthias und Jonathan klingen sehr ähnlich: Pech gehabt, umgeknickt, Bänderriss. Total traurig.

Ich bin mächtig stolz, den JUNUT 239 gefinisht zu haben. Die Strecke liegt mir eigentlich vom Profil, die Landschaft ist wunderbar, das ganze Drumherum vom Briefing bis zur After-Race-Party sind perfekt organisiert, die Orga und all die Helfer waren einfach spitze: Super hilfsbereit, motivierend und kompetent. Die VPs waren bestens mit Getränken und Speisen bestückt, was man eher selten sieht. Uneingeschränkt empfehlen kann ich den 239km-Lauf aber nicht, denn diese Strecke erfordert eine solide Erfahrung und Vorbereitung. Aber die Strecken über 103 und 170 Kilometer sind durchaus Alternativen und gut geeignet, um sich an die Königsstrecke heranzuarbeiten.

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