Text und Bilder: Michael Irrgang, 01.10.2021
Bei diesem empfehlenswerten 100-Meiler mit ca 6.500 Höhenmetern werden von Ettelbrück in Luxemburg bis nach Maboge in Belgien über den Escape-Wanderweg die Ardennen durchlaufen.
Eine schöne Landschaft und eine tolle Strecke laden förmlich dazu ein, diesen Teil Europas kennenzulernen, zumal das Ziel in Belgien von NRW gar nicht weit weg ist. Dennoch war ich der einzige Starter aus Deutschland.
Zur Vorgeschichte. Eigentlich wollte ich Anfang September in Ungarn an einem 6-Tagelauf teilnehmen, aber eine Fußverletzung, mangelndes Training und Corona haben zu einer Verschiebung des Starts in den Mai gesorgt. Als leichterer Ersatz sollte nun dieser 100-Meiler genutzt werden, da das Zeitlimit im Verhältnis zu den Anforderungen (Länge, Höhenmeter, Untergrund) großzügig erschien. Das täuscht jedoch, versicherte mir mein Vereinskollege Matthias Kröling, der den Lauf bereits gefinisht hat.
Der normale Ablauf sieht vor, dass sich die Teilnehmer am Ziel in Maboge treffen, von wo aus sie ein Bus am Samstagmorgen um 2 Uhr zum Start fährt, der um 4 Uhr ist. Das kann man sicher anders und besser als ich es getan habe organisieren, aber ich musste noch am Freitagabend zur Meisterehrung nach Ingelheim fahren (Link zum Bericht) und so kam ich erst kurz nach Mitternacht in Maboge an.
Etwa 75 Starter warteten kurz vor 2 Uhr in Maboge auf den Bus, der sie zum Start fahren sollte.
Der Start erfolgte im Ort nach einem kurzen Briefing. Es ging recht schnell auf den ersten Single-Trail einen Berg hoch; die kleine Gruppe zog sich auseinander und ich war ziemlich am Ende des Feldes. Meine Idee war es schon, in der Dunkelheit der ersten Nacht in einer Gruppe zu laufen und sich mit den Wegen und der Markierung vertraut zu machen. Das war aber gar nicht so einfach, denn auch die Langsamen legten ein gutes Tempo vor. Die meisten Starter nahmen zum wiederholten Mal liefen, obwohl es den Lauf erst seit 2016 gibt, seit 2019 unter der Regie von Legends Trail. Die erste Überraschung kam etwa bei Kilometer 10. Die Gruppe vor uns lief nach rechts, aber ein Läufer unserer Nachzüglergruppe meinte, wir müssen nach links. Hm. Track geht nach rechts, Markierung zeigt nach links. Was tun? Unser Scount meinte, dass es einige Stellen gibt, an denen der Track von der Markierung abweicht, dann solle man der Markierung folgen. Also, wer blind nach Track läuft, läuft regelmäßig ein paar Extrameter. Sollte die Markierung tatsächlich falsch und der Track richtig sein, z.B. an den VPs abseits der Strecke, dann sollten unübersehbar extra Pfeile angebracht sein. Au weia, das ist genau mein Humor. Hatte ich aber vom Briefing nicht so mitgenommen. Ist das wirklich ein Teil des Konzeptes? Finde ich etwas ungewöhnlich, aber ich hatte von „Trails in Belgien“ schon abenteuerliche Geschichten gehört und war wirklich neugierig auf das, was mich erwarten würde. Bei der Startnummernausgabe hatte ich den Veranstalter gefragt, ob man Flüsse durchqueren muss, was nach längerem Überlegen verneint wurde. Ich mag noch nicht einmal dreckige Schuhe, geschweige nasse und hatte auch keine Dropbags mit Wechselsachen vorgesehen.
Die erste Hälfte mit ca 78km hatte etwa 4000 Höhenmeter und wenn es grad mal nicht hoch oder runter ging, ging es über fürchterliche Wurzelwege an Flüssen entlang. Dennoch boten sich im morgendlichen Nebel romantische Aussichten auf die Umgebung.
Obwohl der höchste Punkt der Strecke nur gut über 500m lag, gab es spektakuläre Wege entlang von steilen Felsen.
Nach einem steilen Aufstieg ging es ein gutes Stück über so einen Grad durch den Nebel. Die Vegetation überraschte ein wenig mit Moos und niedrigen Gewächsen und erinnerte eher an die alpine Baumgrenze, aber hier gibt es wohl tatsächlich lange und sehr kalte Winter. Aber abgesehen von dem Nebel waren die Wetterbedingungen absolut ok.
Der Wanderweg war in Luxemburg durchweg gut markiert. Wir folgten der weißen Welle auf blauem oder schwarzem Untergrund. Etwas ungeschickt war, dass die Schilder manchmal in 2m Höhe befestigt waren, wenn man zur Sturzvermeidung mit dem Blick am Boden klebte.
Im Laufe des Tages kam die Sonne raus und ich konnte den Lauf richtig genießen. Das Profil entsprach dem bekannten von deutschen Mittelgebirgen und so manche Bank lud zum Ausruhen ein, was ich allerdings überwiegend vermied. Die Wegfindung war easy und das Tempo stimmte.
In Clerf oder Clervaux, wie es im französischen heißt, befindet sich diese herrliche Klosteranlage. Hier war etwa die Hälfte der Strecke erreicht, für die 50Meilenläufer war hier der Start und für uns eine große Dropbagstation. Hier genehmigte ich mir eine etwas längere Pause, bevor es in die zweite Nacht ging.
Die Sonne ging unter und eine gemeine Nacht sollte folgen. Zunächst nahmen die Markierungen deutlich ab, bzw. waren im Dunkeln nicht zu erkennen, dann folgte Regen und ich konnte überhaupt nicht mehr gut gucken, meine Füße zickten schon lange rum und schließlich hatte sich mein Garmin verstellt und erschwerte die Navigation nach Track. Dazu kommt, dass ich mich ein paarmal etwas verlaufen hatte und, wenn ich genau auf dem Track war, aber keine Markierungen fand, hatte ich immer wieder das untrügerische Gefühl, dass ich gerade wieder auf einer Extraschleife für die Unaufmerksamen unterwegs bin. So zog sich das über Stunden und meine Motivation sank in den Keller. Seit Clervaux war ich fast ausschließlich gewandert, kam aber dennoch gut voran. Lediglich an den Versorgungspunkten nahm ich mir etwas mehr Zeit als geplant.
Der Regen ging, die Sonne kam und ich wanderte immer noch durch die Ardennen. Die letzten 30km hatten es wirklich in sich mit dem Großteil der etwa 2.500 Höhenmeter der zweiten Hälfte. Für das drittletzte Teilstück über 11 km benötigte ich etwa 4 Stunden! Wenn es nicht grad steil rauf oder runter ging, ging es über einen durch Felsen und Wurzeln verblockten Weg. Eins war mir klar: Würde ich so weitereiern, würde ich das Zeitlimit reißen. Dennoch brauchte ich am nächsten VP erst mal eine Pause, denn ich habe den letzten Abschnitt ja nicht getrödelt, sondern es ging halt nicht schneller.
Also erst einmal frühstücken. Es gab hier sogar leckere Toasts. An Getränken gab es immer Wasser und Cola und ab und zu sogar Kaffee. In Belgien hätte ich etwas anderes erwartet, aber das gab es erst im Ziel.
Bis auf die gewaltigen Anstiege kam ich jetzt gut voran und die Befürchtung, den Cut-Off nicht zu schaffen, verflüchtigte sich. Das ist für mich der absolute Horror. So lange unterwegs zu sein, alle Hürden überspringen und Schwierigkeiten meistern und schließlich stolz das Ziel erreichen und dann mit einem DNF versehen zu werden, weil man etwas zu langsam war. Alleine die Angst davor, hat sicher noch einmal Extrakräfte freigesetzt und die mittlerweile eingetretene Müdigkeit vertrieben.
Die belgischen Streckendesigner mit ihrem eigenen Humor lassen die Teilnehmer nach ca 155km ins Ziel laufen, wo es schon wunderbar nach Grill riecht und all die glücklichen Finisher sich schon feiern. Aber eine Ehrenrunde ist noch fällig mit 5,7km und einem richtiger Berg.
Und ca 1 km vor dem Ziel kam, was irgendwie noch kommen musste. Hier teilen sich Bach und Wanderer den Weg! Aber selbst, wenn es mich 2 Plätze und 5 Minuten kosten würde, war mein Ehrgeiz geweckt, hier trockenen Fußes durchzukommen, was mir auch tatsächlich gelang.
Aber irgendwann war auch der letzte Kilometer gewandert und ich erreichte das Ziel – müde und glücklich, wie es nach einem richtigen Ultra auch sein sollte. Dieses Mal halt beides in der XXL-Version. Passend dazu gab es eine Monstermedaille.
Nun hätte auch für mich die große Barbecue-Feier starten können, aber ich bin ziemlich direkt mit Auto ab nach Hause gefahren. Das war sicher nicht besonders klug, hat aber funktioniert. Und in gewisser Weiser schließt sich hier der Kreis der Unvernunft.
Mein Fazit: Der Veranstalter Legends Trail hat hier eine wirklich empfehlenswerte Veranstaltung auf die Beine gestellt. Die Strecke ist wunderschön, die Verpflegung ausreichend. Die 100 Meilen sind sehr anspruchsvoll, aber bei guten Wetterbedingungen für viele im Zeitlimit zu schaffen. Ich war nach ziemlich genau 34 Stunden im Ziel und werde auf Platz 40 von 51 Finishern geführt, 21 Starter erreichten nicht das Ziel.
Die An- und Abreise kann man sicher besser planen, idealerweise einen Tag vorher anreisen und auf der Rückfahrt nicht selbst fahren. Man kann auch 50 Meilen laufen oder auch mit etwas mehr Cutoff-Zeit beide Streckenlängen wandern.