Am letzten Wochenende im September steht mit dem Lauf von Athen nach Sparta für viele Läuferinnen und Läufer der Jahreshöhepunkt an; für viele Beobachter ein Computer-Marathon, denn der Veranstalter stellt an verschiedenen Checkpoints Messstellen auf und überträgt die Zwischenzeiten live ins Internet. So kann man dann sehr gut mitverfolgen, wer schnell und wer langsam läuft, wer um die vorderen Plätze mitläuft und wer gegen das Zeitlimit kämpft.
Foto: Fabian Benz im Ziel
Die 246km weisen immerhin 3.000 Höhenmeter auf und müssen innerhalb von 36 Stunden zurückgelegt werden. Meistens ist es unerbittlich heiß und viele Teilnehmer mutieren im Kampf mit den Kilometern und dem Wetter zu wahren Helden, die einen Vergleich mit den griechischen Vorbildern nicht zu scheuen brauchen.
Foto: Patrick Hösl erreichte einen hervorragenden 7. Platz
Dieses Jahr war vieles wie immer, aber entscheidendes komplett anders. Wie immer gab es ein etwa 30köpfiges Starterfeld aus Deutschland, welches vom Spartathlon-Koordinator Ralf Simon betreut wurde, darunter viele Mitglieder der LG Ultralauf. Patrick Hösl als bester Deutscher konnte dank einer klasse Renneinteilung auf den 7 Gesamtplatz vorlaufen und überzeugte insbesondere durch seinen fulminanten Endspurt auf dem letzten Renndrittel in der Nacht. Er gehört zu den erfahrensten Vereinsmitgliedern. So nahm er bereits 2010 an der 24h WM teil. Fabian Benz ist einer unserer Nachwuchstalente und lief die ersten ca 70 Kilometer sogar zusammen mit Patrick, bevor er abreißen lassen musste. Da das Wetter mit zunehmenden Rennverlauf immer schlechter wurde, hatte Patrick Glück und konnte der Regen- und Sturmfront davonlaufen, während Fabian in der zweiten Rennhälfte schwer zu kämpfen hatte. Er war ohne Betreuer unterwegs, was in diesem Jahr ein großer Nachteil war. Noch heftiger erwischte es Florian Bachmeier und Klaus Mantel, die kontrolliert vor dem Zeitlimit liefen und vom Unwetter voll erwischt wurden. Die Bilder, Videos und Berichte von den Leuten am Ende des Feldes sind unglaublich! Eigentlich hätte man den Lauf wohl abbrechen müssen, da es richtig gefährlich war. Hat man aber nicht und es ist wohl auch nichts passiert.
Foto: Wasserstraße auf dem Weg zum Ziel
Anbei der spannende Bericht von Anke Follner, der Betreuerin von Florian. Auch die Betreuer haben Gigantisches geleistet, um die durchnässten und unterkühlten Sportler immer wieder zu motivieren und ins Ziel zu pushen. Anschließend folgen noch die Eindrücke von Klaus Mantel.
Michael Irrgang 9.10.2018
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben…
(H.Hesse)
Diesen Zauber spürte ich auch, als mir Florian zum ersten Mal vor über einem Jahr von seinem Vorhaben erzählte, den Spartathlon mit seinen unglaublichen 246,8 km zu bewältigen. Fasziniert lauschte ich seinen Erzählungen über den Lauf, über die Geschichte des Spartathlons und schon hatte mich etwas gepackt, das ich nicht fassen konnte einige Monate später nach dem ersten Finish in Sparta erzählte er mir von seinem nächsten Ziel, wieder in Athen zu starten mit einem ganz eigen gesetzten Zeitlimit.Aber wie es so ist, lacht das Schicksal nur über unsere Pläne und wirft sie mit Liebe völlig durcheinander.Das Training der Monate zuvor verlief sehr gut. Es gab sicher das ein oder andere Tief dazwischen, aber die Tendenz, die sich abzeichnete, war verdammt gut.
Doch 2 Wochen vor Sparta sollte Florians Geduld und Willenskraft noch einmal auf eine gute Probe gestellt werden. Schmerzhafte Probleme im Wadenbein, die wohl mehrere Ursachen vereinten, machten ihm schwer zu schaffen. Osteopathen bemühten sich redlich und so war das Bein nach 2 Wochen wieder einigermaßen hergestellt. Was aber blieb, war die Unsicherheit im Kopf.
Florian versuchte das, so gut es ging, auszublenden und aufkommende Zweifel herunter zu schlucken. Dennoch blieb ein nagender Gedanke im Hinterkopf.
Als Brigitte (Florians Mutter) und ich am Donnerstag Abend in Athen ankamen, ging es eigentlich Schlag auf Schlag. Letzte Einweisungen seitens Florian, essen gehen und versuchen, schnell einzuschlafen. Und genau das funktioniert nicht, wenn man aufgeregt ist und weiß, dass die Nacht verdammt kurz ist.
Am nächsten Morgen ging es mit wenig Schlaf, aber total aufgekratzt los. Mit unserem Mietauto folgten wir dem Bus der Athleten bis zur Akropolis, um dort Florian (und natürlich auch alle anderen Athleten) gut auf die Strecke zu schicken.
Relativ schnell füllte sich der Platz vor der Akropolis mit 100en von Athleten und Supportern, aber es herrschte eine sehr ruhige, fast etwas unheimliche Atmosphäre.
Pünktlich um 7 Uhr Ortszeit fiel der Startschuss und mir blieb nichts anderes übrig, als Florian viel Glück zu wünschen und ihn in die Dunkelheit mit all den anderen Läufern zu entlassen.
Brigitte und ich hatten jetzt relativ viel Zeit, da der erste Checkpoint, an dem wir supporten durften, bei km 42 lag und wir gewiss sein konnten, dass Florian bis dahin locker alleine durchkam. Dass es das erste und fast einzige Mal sein würde, dass wir etwas Zeit für uns haben würden, war uns da noch nicht bewusst.
Unterwegs hatte es nun gut geregnet, aber zum Glück auch wieder aufgehört. Wir hatten uns mit unserem geliehenen Flitzer (das Mietauto hatte gefühlte 30PS…) durch Athen durchgewühlt und warteten nun an CP 11 bei km 42,2 in Mecara irgendwo mitten an einer gut befahrenen Straße auf die Ankunft von Florian. Er war sehr gut in der Zeit und erreichte den CP gegen 11:10 Uhr. Ich schöpfte Hoffnung. Waren die Probleme im Bein tatsächlich Vergangenheit? Es schien, als ginge es ihm recht gut.
Was folgte, war ein schneller Klamotten- und Schuhwechsel, ein paar Dehnungsübungen und etwas Verpflegung und schon ging es weiter. Der Schuhwechsel sollte sich allerdings noch als recht unangenehm herausstellen
Bis wir unsere eigene kleine Versorgungsstelle wieder im Auto verstaut hatten (da war eben noch keine Routine in den Abläufen bei uns…), war einige Zeit vergangen. So war Florian schon wieder einige km unterwegs, als wir ihn auf der Strecke einholten. Der nächste CP den wir anfahren durften, wäre nach insgesamt 80km in Korinth gewesen. Aber aus irgendeinem Grund, war mir das zu weit. Instinktiv wollte ich Florian nicht so lange aus den Augen verlieren. Und so fuhren wir ein Stück und hielten wie normale Passanten ab und zu auf der Strecke oder an ein paar anderen CP`s und warteten, bis Florian an uns vorbei lief.Nach ca. 60km veränderte sich Florians Miene. Schmerzen und Verzweiflung schauten uns an. Nach dem Wechsel der Schuhe, begannen die Schmerzen im Bein scheinbar Überhand zu nehmen. Verzweifelt wollte er im Affekt alles hinschmeißen. Der Satz: Ich höre auf, es geht nicht… war wie Feuer in meinen Ohren. Ich wusste, dass nun alles auf Messers Schneide stand. Zum Glück sagte er, dass er noch bis Korinth laufen wolle. So hatte ich Zeit zum Nachdenken. Mir fiel es schwer, die Situation in Florians Sinne richtig einzuschätzen. War es tatsächlich so schlimm, dass nichts mehr ging? Wäre es tatsächlich besser, abzubrechen? Oder brauchte es einen mentalen Schub, um ihn wieder in die Spur zu bringen? Dass es weh tun würde, war von Anfang an klar. Aber wie viel davon war noch in Ordnung und was war dann zu viel??Ich dachte an Peter, sein Partner beim ersten Spartathlon. Er hatte so viele Trainingsstunden, so viel Schweiß, Schmerzen und Tränen mit ihm geteilt. Wenn es einer einschätzen konnte, dann sicher er!
Als Florian den CP 22 bei km 80 gegen 15:45 Uhr in Korinth erreichte, war er vom Schmerz und von der Enttäuschung über den bisherigen Verlauf völlig aufgelöst. Schluchzend sank er auf dem Stuhl zusammen. In dem Moment zog ich meinen Joker Peter aus der Tasche. Ich hatte ihn schon vorgewarnt und ihn somit schnell an meinem Handy. Nach nur 3 min Gespräch gelang es ihm, Florian zu beruhigen, ihn vernünftig nachdenken zu lassen und am Ende wieder auf die Strecke zu schicken. Ich war unglaublich erleichtert! Es gibt kaum etwas schlimmeres für einen Athleten, als diesen Lauf irgendwie, irgendwo abbrechen zu müssen!
Aber Florian war wieder da, sein Blick klar und fest. Noch ein kurzer Abstecher auf die Massageliege, schnelle Anweisungen für die sehr motivierten Masseure und ein Wechsel auf die vorherigen Schuhe und schon war Florian wieder am Laufen.
Das nächste Übel ließ allerdings nicht lange auf sich warten. Der Regen, der sich zwar immer wieder gemeldet hatte, aber zwischendurch auch mal Ruhe gab, setzte nun volle Kraft voraus ein. Ich hoffte noch, dass es nur bei einem heftigen Schauer bliebe, der sich ganz bald wieder legte, aber das sollte ein Wunsch bleiben bis zum Samstag Abend. Schnell verwandelte sich die Landschaft in einen einzigen Swimmingpool mit Dreck und Schlamm. Stunden später warteten so einige riesige Knöcheltiefe Seen auf die Athleten. Hier blieb niemand mehr trocken, weder Athleten, noch Supporter.
Ich fühlte, dass so langsam ein Kampf in Florian begann. Der Schmerz, die sowieso schon anstrengende Strecke und nun auch noch der starke Regen, der nicht zuließ, dass angemessene Pausen gemacht werden konnten. Und so beschlossen wir, die Punkte, an denen wir auf Florian warteten, noch dichter beieinander zu legen, um ihm zu zeigen, dass wir für ihn da waren. Leider wurden wir so einige Male von den Racemarshalls, die auf der gesamten Strecke für die Einhaltung der doch recht strengen Wettkampfregeln achteten, zum Weiterfahren angehalten. Des öfteren hörten wir den Satz, dass es nicht einmal erlaubt wäre, nur einfach dort zu stehen. Wir gingen ohne ein Wort des Einwandes, um Florians Teilname an diesem Rennen nicht zu gefährden. Eine Disqualifikation, aufgrund unserem Fehlverhaltens, wäre das letzte gewesen, was wir hätten bewirken wollen.
Nasse abgelegte Kleidung wurde im Auto säuberlich aufgehangen. Wir fuhren mit voll aufgedrehter Heizung. Immer in der Hoffnung, beim nächsten CP , Florian wenigstens ein trockenes Kleidungsstück anbieten zu können. Der Regen zeigte sich unbarmherzig und feuerte alles auf die Athleten ab, was er dort oben im Himmel finden konnte.
Ab ca. km 85 hatte Florian auch eine Begleitung in Form seines Vereinskollegen und Leidensgenossens Klaus Mantel. Wer hier wen zog, war unwichtig. Sie taten sich gegenseitig gut und das merkte ich auch an Florians Gemüt. Langsam ging es auf den Abend bzw. die Nacht zu. Bei CP 29 km 102,1 in Zevgolatio gegen 18:30 Uhr rüstete sich Florian mit Stirnlampe und Co. für die Dunkelheit. Ich hoffte, dass ihm das nicht zusetzte. Regen, Dunkelheit, ewig ins Schwarze laufen, können einen ziemlich zermürben. Aber es schien ihm nichts auszumachen. Nach einer kurzen Beinmassage meinerseits und etwas Verpflegung rief er beschwingt nach Klaus und die zwei starteten weiter auf ihrem noch langen Weg hinein in die Dämmerung.
Die Abstände der CP`s, an denen wir offiziell supporten durften, wurden jetzt auch kleiner. Aber der Regen machte so einiges zu nichte. Die meisten CP`s waren im Freien, einige notdürftig in kleine Gebäude verlegt. So fanden wir uns zB. in einer kleinen Kirche in Nemea CP 35 km 123,3 wieder, an der Florian ca. 22:15 einlief. Alle quetschen sich dort hinein, um nicht im heftigsten Regen stehen bleiben zu müssen und damit innerhalb weniger Sekunden die Kälte bis auf die Knochen zu spüren. Die warmen Speisen, die normalerweise nicht so gefragt waren, da meistens bei diesem Lauf tagsüber 30 und nachts ca 24 Grad herrschten, waren fast immer schon ausgegangen, wenn wir einen CP erreichen. Trotzdem versuchten wir, auf Florians Wünsche einzugehen, die er uns im Vorbeifahren ins Auto rief. Ich habe ehrlich gesagt noch nie für einen einfachen Kaffee so kämpfen müssen…
Cp 43 km 148,3 in Lyrtkia Village war der letzte vor dem Sagas Berg, den wir anfuhren. Florian erreichte ihn ca. um 2:20 Uhr. Er hatte gut Puffer, um über den Sagas zu kommen. Wir hielten ihn an, noch einmal alle Taschen voll zu füllen. Denn über diesen Berg konnten und durften wir nicht mit ihm. Es war ein Singletrail, also unbefahrbar für uns. Aber da war ja noch Klaus. Und gemeinsam würden sie sich schon den Berg hochschrauben.
Der ursprüngliche Plan war, Florian ab ca 23 Uhr alleine zu lassen und irgendwann gegen 5 Uhr wieder zu treffen und in der Zwischenzeit ein Hotel zu nehmen, um etwas auszuruhen, duschen und frisch gestärkt wieder an der Strecke zu erscheinen. Doch wir beschlossen, am ersten CP nach dem Sagas wieder vor Ort zu sein. Ich fühlte, dass Florian uns brauchte, auch wenn wir kaum mehr etwas hätten tun können, da trotz Bewegung die Kälte durch seine Kleidung kroch.So fuhren wir CP 52 bei km 171,5, der erste nach dem Sagas, an dem wir wieder supporten durften, an. Dort stellten wir das Auto ab. Wir hatten jetzt ca 2,5h Zeit, zum Ausruhen. So gut es ging, machten wir es uns auf unseren Sitzen im Auto bequem und versuchten ein wenig zur Ruhe zu kommen.
Mir gingen 1000 Gedanken durch den Kopf. An Schlaf war nicht zu denken. Vom Auto aus sah ich einen Helfer, der stundenlang im Regen stand und auf freundlichste Art und Weise die ankommenden Athleten zur Zeitmatte lotste. Er musste selbst komplett nass geregnet sein und frieren, da er sich kaum bewegte. Ich bewunderte ihn, seinen Enthusiasmus und seine schier unendliche Freundlichkeit.Es war jetzt ca. 6:30. Wir stellten die Sitze in unserem geliehenen Flitzer wieder senkrecht und kramten die Box mit Verpflegung und Kleidung heraus. Florian kam genau in dem von ihm angegebenen Zeitfenster an. Er war gut über den Sagas gekommen und schaute besser aus als erwartet. Klaus schien in ähnlicher, für diese Umstände guter Verfassung zu sein.Ausziehen oder umziehen tat Florian kaum mehr etwas. Seine Füße waren völlig aufgeweicht. Dass er jetzt noch die Socken wechselte, war wohl ein verzweifelter Versuch, dass sich die Haut dort nicht ganz ablösen möge. Jetzt wurden nur noch eine Lage Kleidung über die andere gezogen. Florian versuchte irgendwie, eine Isolierschicht in Form von Regenjacken und Müllsack zu konstruieren.Er erzählte uns, dass auf dem Sagas der Wind unbarmherzig wehte. Er hatte dort von einem griechischen Mitathleten eine Regenjacke geschenkt bekommen, die unten angekommen, auch völlig durchnässt war. Aber für mich war es eine herzliche Geste in einem so kalten Moment!Und wieder waren wir auf dem Weg von CP zu CP. Wir sahen Athleten durch riesige Pfützen warten. Das schlammige Wasser floss in die Schuhe hinein und genauso wieder heraus. Autos vor mir fuhren völlig gleichgültig mit guter Geschwindigkeit an der Läufern vorbei und duschten sie noch zusätzlich mit Pfützenwasser. Ich versuchte, selbiges zu vermeiden. Es war sowieso schwierig, in der Dunkelheit die Läufer zu erkennen, die mal rechts, mal links liefen. Dazu waren die Straßen teilweise in einem desolaten Zustand, so dass uns Schlaglöcher das Fahren erschwerten. Mit zunehmender Zeit machte der Magen von Florian dicht. Es war verständlich, dass auch langsam der Appetit auf süße, pappige Riegel oder Gels verging. Aber er brauchte Energie für den noch vor ihm liegenden Weg und wie nötig das sein würde, merkten wir irgendwann nach dem Sonnenaufgang.
Der Regen hatte tatsächlich mal kurz pausiert. Wir standen an CP 54 km 177,5, den Florian ca.7:45 Uhr erreicht. Die Sonne wollte aufgehen, konnte aber nicht wirklich. Der Himmel war mit dicken schwarzen Wolken verhangen. Und wieder machte der Regen einfach weiter. Langsam gesellte sich sein Freund namens Wind dazu. Ich dachte mir nicht viel dabei. Doch irgendwie bekamen wir mit, dass ein Hurrikan auf Griechenland zusteuerte. Ich wollte es nicht glauben, es war doch so schon schwer genug. Kaum von der Hiobsbotschaft gehört, schwoll der Wind an. Und nein, der Regen hörte nicht auf, sondern machte kräftig mit.Klaus lief jetzt in einem Abstand von ca. einer halben Stunde hinter Florian. Sie hatten sich gut getan, so lange sie es brauchten und hatten sich getrennt, als es Zeit wurde. Sie machten aber beide einen entschlossenen Eindruck, so dass mich die Trennung nicht störte.
Wir standen bei CP 63km 206,4 um ca. 12 Uhr. Es war nicht mal mehr ein ganzer Marathon bis zur Statue von König Leonidas. Aber es wurden die härtesten 40km des ganzen Rennens. Der Hurrikan hatte uns erreicht und zog und zerrte an den Athleten. Ein gerades Laufen war nicht mehr möglich. Ich sah mit Entsetzen einen verzweifelten Läufer, dessen Rettungsdecke, die er sich zum Schutz beim Laufen umgebunden hatte, in einzelnen Fetzen davon flog. Die Läufer wurden wie Puppen durch die Gegend gewirbelt. Erdrutsche ergossen sich auf die Straße, Dachziegel flogen umher. Und ein CP (72/km 236,6, ca. 16:30 Uhr), der an einer Tankstelle aufgebaut war, glich einem Schlachtfeld. Dort mussten wir sogar um unser Auto Sorge tragen, da die Schilder der Tankstelle abrissen und meterweit durch die Gegend flogen.
Brigitte war verständlicher Weise sehr besorgt um Florian. Ich hatte Mühe, sie davon zu überzeugen, dass er sich selbst aus dem Rennen nehmen würde, wenn er absolute Lebensgefahr laufen würde.
Selbst schon komplett durchnässt, hielten wir noch öfter an und standen an der Strecke. Von Racemarshalls war nichts mehr zu sehen und so wurden wir mutiger. Der Regen war mir mittlerweile egal. Florian musste ins Ziel, das war die einzig würdige Belohnung für diese ganzen Qualen. Immer wieder schrie er seine Wut über die unfairen Bedingungen heraus. Ich sah es positiv. So lange er noch schreien konnte… Aber ich litt auch still mit ihm. Es zerriss mir das Herz, ihn so kämpfen zu sehen. Dieser Krieg da draußen und der Krieg in Florian selbst trieben mir fast die Tränen in die Augen. Nur brachten meine Tränen da gar nichts und ich schluckte sie wieder herunter.
CP 73 bei km 241,3 war der letzte, an dem wir Florian noch einmal alles Gute für die letzten 5km wünschten. Wir verabschiedeten uns und fuhren nach Sparta, um ihn dort in Empfang zu nehmen.
In Sparta angekommen, erwartete uns eine total überflutete Stadt. Die Häuser waren geschützt durch Sandsäcke und weder Straße noch Gehsteig waren als solches zu erkennen. Da, wo sonst beim Finish viele Leute stehen, waren nur eine Hand voll Menschen zu sehen, die dem Regen trotzten und die nach und nach einlaufenden Athleten beklatschten. Ansonsten war es still und nur der prasselnde Regen zu hören.
Aber da stand sie, die begehrte Statue König Leonidas´ und vor ihr die allerletzte Zeitmatte. Mit großen Augen sah ich den Athleten zu, wie sie langsam auf die Statue zusteuerten mit Unterstützung von Freunden, Familie oder gar alleine. Ich fühlte, dass es ein erhabenes Gefühl sein musste, so ein Rennen zu finishen, unter Leonidas zu stehen und mit der Stirn auf seinem Fuß zum Liegen zu kommen. Und ich glaubte, dass das an diesem Tag eine noch viel größere Bedeutung hatte als bei all den anderen Spartathlons zuvor.
Es war gegen 18 Uhr, als wir Florian die Straße entlanglaufen sahen, die direkt zur Statue führte. Er hatte immer noch den blauen Müllsack an, aber in diesem Müllsack steckte mein ganz persönlicher Held. Die letzten Meter liefen wir dann gemeinsam. Mir fehlten die Worte und so war ich wieder einmal, wie so oft in den letzten 35h, am Tränen schlucken.
35 h , 246,8km, über 3000 hm, unendlich viele Liter Regen und Windstärken, die Bäume entwurzelten, lagen hinter ihm. Das bewältigt man nur mit einem eisernen Willen und festem Glauben an die eigene Kraft, an sich selbst! Ich habe noch nie ein so hartes Rennen miterlebt unter solch widrigen Bedingungen. Noch nie habe ich Athleten so kämpfen gesehen. Und noch nie habe ich so zu ihnen aufgeschaut!
Florian war eigentlich schon über das Ende seiner Kräfte hinaus. Nach der ersten Gratulation, Olivenkranz und Auszeichnung, führte man ihn schnell zur Versorgungsstelle. Dort wurde er von den nassen Klamotten befreit und in Decken sowie Rettungsdecken gehüllt. Mit der Wärme ging dann auch sein Kreislauf in die Knie, was ein Aufstehen erst einmal unmöglich machte. Ich unterhielt mich mit der Ärztin vor Ort. Sie entschied sich, keine Infusion zu legen, da sie seinen Blutdruck als noch zu gut empfand. Nun ja, meine Meinung war da eine andere, da ich sah, wie Florian mit seinem Kreislauf kämpfte. Was ich nicht wusste, dass er mehrfach nach etwas zu trinken fragte und nichts bekam. Aber wir schafften es irgendwie per Taxi ins Hotel und ich wurde ruhiger, als ich ihn sicher in seinem Zimmer mit genügend zu trinken wusste.
Trotz dessen, dass es ihm eigentlich gar nicht gut ging, bestand Florian darauf, dass wir drei gemeinsam zu Abend essen. Und als ich ihn vor dem riesigen Eisbecher sitzen sah, wusste ich auch woher er noch das letzte bisschen Kraft nahm und mit uns raus ging. Dieses Lächeln von ihm würde ich nicht vergessen!!
Die Tage danach beschäftigte mich oft noch eine Frage. Ich lernte nun auch die anderen Athleten kennen. Und so einige von ihnen waren, wie Florian auch, mehrfache Wiederholungstäter, was den Spartathlon anbelangte.
Was bewegte einen Menschen, solche Strapazen immer wieder auf sich zu nehmen??? Ich konnte selbst einmalige 246,8 km nicht begreifen; nicht die Distanz und nicht die ganzen schwierigen Umstände. Also warum tat man sich das öfter an und träumte schon gleich einen Tag nach dem Finish von dem nächsten Mal??
Und irgendwann begriff ich es!
Der Mensch braucht in seinem Leben immer etwas, das hungrig macht und etwas, das satt macht. Der Spartathlon macht irgendwie beides. Immer wieder hungrig nach dieser immensen Herausforderung und so dermaßen satt am Fuße des König Leonidas!
Hier die Eindrücke von Klaus Mantel
Meine erste Teilnahme und ich hatte am meisten Respekt vor Einhaltung der CuttOffs. Bin dann recht schnell los, der Marathon wurde mit 4:11 absolviert. Meine GPS Uhr auf ULTRA Trac Modus zu stellen und parallel meine alte GPS Garmin Laufuhr am rechten Handgelenk als Konrtrollorgan einzusetzen erwies sich als wenig tauglich um mich ruhiger werden zu lassen. Beide Uhren wichen ab. Eine zeigte 2 km weniger, die andere 1,5. Wie sollte ich da die Pace finden um die mir selbst gesteckten Zwischenzeiten kontrollieren zu können. Nach dem Marathon wurde ich deshalb sehr langsam. Bei einem CP (bei ca. 52 km) unterlief mir ein fataler Fehler. Ich las die untere Closing Time von der Tafel ab und meinte die gilt für diesen Punkt- anstatt für das Verlassen des nächste CPs. Über 1 Stunde Puffer und ich wurde noch langsamer. Einige Kilometer weiter fiel mir der Irrtum auf. Nun weniger als eine halbe Stunde. Dann traf ich auf meinen Retter, in Gestalt von Florian. Ich kannte ihn da noch nicht. Er stand da und als ich ankam bat er mich mit ihm zu laufen, da er aufgrund eines noch nicht augeheilten Muskelfaserrisses ans Aufgeben dachte.
Wir stellten dann schnell fest, das wir Vereinkollegen sind und unsere Teamarbeit (Er hatte das Zeitmanagament und die Streckenführung unter sich, ich kümmerte mich darum ihn abzulenken mit meiner Anwesenheit) hielt fast bist zum Ziel. Die letzten ca. 15 km zog Flori aber ich behielt in lange Sichtweite.
Und trotz des Sturmes ereeichten wir unsere Ziele (ich hatte in meinem Plan ein 35:30 h und in in 35:29 kam ich rein) War ein tolles Abenteuer und die Abschlußfeier nach anfänglich schwerem Start im Regen wurde auch noch gewaltig und lang)
Texte: Michael Irrgang, Anke Follner, Klaus Mantel
Bilder: Anke Follner, Klaus Mantel, Ralf Simon, Daniel Raum 11.10.2018
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