Am Sonntag, 24. Juni, fuhr ich zusammen mit meiner Frau ganz entspannt nach Neustift im Stubaital, um dort zusammen einige Tage Urlaub zu verbringen. Am Ende dieses erholsamen Urlaubs hatte ich für Samstag, 30. Juni die Teilnahme an der 2. Auflage des Stubai-Ultratrails über 63,1 Km und 5075 HM gebucht. Das sollte auch zugleich mein erster Lauf für die LG Ultralauf sein. Das Besondere an diesem Lauf, der vom bekannten Veranstalter Plan B organisiert wird, ist, dass er nachts um 01:00 Uhr in Innsbruck gestartet wird und zum Ziel auf die Jochdohle, die auf dem Stubaier Gletscher auf 3138 Metern liegt, führt.
Während ich am Montag und Dienstag noch jeweils eine kurze Laufeinheit absolvierte, merkte ich dann aber doch, dass ich die geplante Mittwochseinheit besser sein lasse, um mich für den Lauf nicht vorab zu schwächen. Und das war auch gut so.
Das Abholen der Startunterlagen am Donnerstag und die Pastaparty sowie das obligatorische Briefing am Freitag (alles in Neustift i.S.) liefen wie überall ab. Am Freitag fuhr uns der Shuttle-Service um 23:15 Uhr von Neustift im Stubaital nach Innsbruck ins Zentrum zum Start. Diese Leistung konnte vorab hinzugebucht werden. Das alles kam mir bis dahin bekannt vor, da ich bereits bei der Premiere im letzten Jahr mitgelaufen bin. Aber dazu später mehr.
Franz kurz vor dem Start in Innsbruck
Pünktlich um 01:00 Uhr erfolgte der Start. Ich fühlte mich einigermaßen fit, obwohl ich in diesem Jahr erst Anfang März mit meinem Training beginnen konnte. Zu Beginn wurden wir mit einem neutralisierten Start von einer Polizeieskorte aus Innsbruck herausgeleitet. Anschließend ging es immer den Fluss Sill entlang durch die Sillschlucht. Der Singletrail, der hier gelaufen wurde, hat echt Spaß gemacht. Ich konnte das Tempo, das vor mir gelaufen wurde, gut mitgehen. Immer wieder gab es kurze schwierige Passagen, bei denen ein Überholverbot ausgesprochen war. So kamen wir zum Stubaier Taleingang.
Und dann ging es nach einigem Auf und Ab auch schnell schon richtig bergauf. Auf rund 14 Km mussten 1.250 HM bewältigt werden. Da war bei mir natürlich Gehen angesagt. Es ging auf abwechslungsreichem Untergrund durch das Plövener Loch über die Schlickerhütte auf die Starkenberger Hütte. Nach der Schlickerhütte habe ich ihn in der ersten Morgendämmerung bemerkt: Den Vollmond, wie er über der Bergsilhouette stand und leuchtete. Schade, dass ich mein Smartphone nicht aus meinem Rucksack genommen habe, das wäre nämlich DAS Bild geworden. Jedenfalls: Ein besseres Panorama kann ich mir in so einer Nacht nicht vorstellen.
Dann wurde es auch so nach und nach hell, während ich in Richtung Starkenberger Hütte ging. Ja, Gehen ist der richtige Ausdruck. Ich merkte so langsam, wie meine Kraft nachließ. Hätte ich zu Anfang auf den schönen Singletrails doch Gehpassagen einlegen, d.h. Kräfte sparen und von Anfang an auch bei leichten Anstiegen gehen sollen? Und es ging weiter rauf. Und dann waren wir endlich oben. Es war taghell und wir konnten auf das Stubaital runterblicken. Welch ein Panorama. Nun ging es noch ein Stück oben entlang, bevor wir mit dem Abstieg auf die Starkenberger Hütte (2.227 Meter ü. NN., 29,5 Km nach dem Start) und von dort weiter nach Neustift (991 Meter ü. NN.) begannen. Direkt nach der Starkenberger Hütte bin ich im letzten Jahr mit dem linken Fuß umgeknickt und habe mir dabei das Außenband abgerissen. Daher ging ich an dieser Stelle sehr vorsichtig und bewusst vorüber und dann konnte ich es nach Neustift runter sehr gut rollen lassen. Rollen heißt bei mir aber nicht Sprint, wie man das so oft bei sehr guten Läufer*Innen sieht. Davor habe ich zu großen Respekt. Daher mache ich immer langsam und verliere bergabwärts meist einiges an Zeit. Diesmal ging es aber recht gut. Ich hängte mich hinter zwei Läuferinnen (ohne sie aber ganz einholen zu können), denen es wohl noch richtig gut ging, jedenfalls redeten sie ununterbrochen und waren bester Laune. Später im Bus hat mir eine der beiden Läuferinnen meine Eindrücke auch bestätigt. Im unteren Teil des Abstiegs merkte ich jedoch, dass mein Oberschenkel und mein Knie sich meldeten. Da hatte ich doch wohl größere Abstiege viel zu wenig trainiert. Aber woher soll die Kraft diesbezüglich auch kommen, wenn man nur 4 Monate trainiert und dabei erst durch kleine und wenige Wochenkilometer überhaupt mal wieder reinkommen muss. Jedenfalls kam ich in Neustift an, war aber dann so geschafft, dass ich anfing, zu gehen. Von hier aus ging die Strecke das Tal entlang des Wassers (meist zumindest) Richtung Gletscher. Auf diesem Streckenabschnitt konnte ich im letzten Jahr noch einigermaßen laufen. Immer wieder ging es seitwärts den Wald hoch und dann wieder runter. Dann auch zu den Wasserfällen runter und wieder hoch. Ein ständiges Rauf und Runter, meist jedoch rauf. Ab Neustift waren es noch etwa 29 Km bis zum Ziel. Dabei hatten wir erst 2548 HM (von 5075 HM) im Aufstieg und 2131 HM (von 2512 HM) im Abstieg geschafft. Es war klar: Da kommt noch einiges. Und dabei konnte ich nicht mehr abwärts laufen und aufwärts sowieso nicht mehr. Also hangelte ich mich von VP zu VP. Am VP 6 (Doadler Alm) bei Km 45,50 hatte ich im letzten Jahr aufgehört. Es ging mit dem abgerissenen Außenband einfach nicht mehr. Eine andere Läuferin, die auch schon längere Zeit nur noch gewandert ist, hat sich hier abgemeldet. Ich war am Überlegen, mich ihr anzuschließen, weil ich eigentlich überhaupt keine Kraft mehr hatte, habe mich dann aber doch entschlossen, noch bis zum nächsten VP weiterzugehen. Wenn man sieht, dass die KM-Angabe „30 Km to go“, „25 Km to go“,…. nicht so richtig weniger wird und keine Kraft mehr da ist, ist es sehr schwer, weiterzumachen. Immerhin stand ja noch der schwierigste Anstieg an. Zuerst habe ich mir Gedanken gemacht, einfach bereits in Neustift aufzuhören. Da wäre ich 100 Meter weiter zeitlich genau richtig zum Frühstück gekommen, da hier meine Unterkunft war. Dann wollte ich aber weiter. Unterwegs war mir klar: In 4 Wochen Ende Juli hatte ich mich zum T127 in Davos über 125,1 km und über 6000 HM angemeldet. Hierfür sollte dieser Lauf der Test sein. Das macht keinen Sinn!! (zwischenzeitlich habe ich mich davon auch abgemeldet). Später versuchte ich, an den Verpflegungsstellen einfach mehr zu essen, was am Anfang auch gewirkt hat. Jedenfalls hatte ich dann wieder etwas mehr Kraft. So kam ich irgendwie von VP zu VP. Ich bin einfach wieder losgegangen, nachdem ich mich verpflegt hatte. Jetzt wollte ich unbedingt die Talstation Mutterberg erreichen, von der ein Shuttle-Bus nach Neustift gefahren wäre. Bereits ab Neustift lief/ging ich nur noch auf Reserve. Ich hatte jetzt schon mein heutiges Limit erreicht, es ging eigentlich überhaupt nichts mehr. Immerhin waren auch noch andere Läufer*Innen unterwegs, die auch in Innsbruck losgelaufen waren. Diese erkannte man an den braunen Startnummern.
Irgendwie kam ich dann auch an die Talstation Mutterberg. Von hieraus hatten wir 3605 HM im Aufstieg und 2432 HM im Abstieg geschafft. Von hier aus ging es aber noch 8,1 Km fast nur bergauf, also noch 1469 HM hoch. Wie sollte ich das nur schaffen. Aber aufhören wollte ich hier auch nicht mehr. 8 Km sollten doch irgendwie zu schaffen sein. Und ich hatte ja noch sehr viel Zeit zur Verfügung. Das sollte reichen. Anderen ging es ebenso und das ist das Gute. Man motiviert sich gegenseitig und geht einfach hintereinander her, also einfach los. Ändern kann man daran ja sowieso nichts. Nun wurde man ständig von anderen Läufer*Innen, die von Neustift starteten (Basictrail) und die eine blaue Startnummer trugen, überholt. Das ging ganz gut. Immerhin konnte man so kurz eine Sekunde stehen. Viele dieser Läufer*Innen drückten im Vorbeigehen ihren Respekt für unsere Leistung aus. Für sie war es wahrscheinlich gefühlt eine genauso große Anstrengung wie für uns. Die Läufer*Innen, die beim 3. Lauf (Gletschertrail) starteten, habe ich nicht mehr gesehen. Diese sind um 11:00 Uhr an der Talstation Mutterberg gestartet und waren vor mir oben. Jedenfalls bin ich auf den steilen Serpentinen weiter auf Stein, Geröll, Schnee und Eis hochgestiegen. Ab der letzten Verpflegungsstelle, die etwa 350 Hm und 1,5 Km vor dem Ziel lag, ging es nur noch auf Schnee und Eis. Anfangs war der Gletscher noch abgedeckt, da konnte man ganz gut stehen. Danach ging es aber eine steile Rampe hoch, der Schnee war sulzig und ständig rutschte man wieder zurück. Zudem war die Luft bei etwa 3.000 Metern ü. NN. ganz schön dünn und alle paar Schritte musste ich stehen bleiben und verschnaufen. Aber das ließ ich mir nun nicht mehr nehmen. Nach 14:53:35 Stunden kam ich völlig ermattet aber absolut glücklich ins Ziel. Hinter und vor mir meine Mitläufer*Innen, mit denen ich mich zusammen hochgekämpft habe. Wir lagen uns in den Armen, die Emotionen lagen blank. Welch eine Erleichterung. Geschafft!! Schnell das tolle Trikot und die Medaille entgegengenommen und zur Finisherverpflegung. Kaiserschmarren. So ein Genuss. Genau das Richtige. Danach ging’s wieder mit den Bahnen nach unten und mit dem Bus dann ab Talstation Mutterberg nun tatsächlich zurück nach Neustift.
Erst hinterher ist mir bewusst, was ich (und jede/r andere, der/die den jeweiligen Lauf gefinished hat) hier geleistet habe. Mit so wenig Training war gar nicht mehr drin. Man sollte für den Lauf gut vorbereitet rangehen, alles andere wird für einen ansonsten zur Qual und dann macht’s trotz dem tollen Wetter wie in diesem Jahr keinen Spaß. Die Strecke ist sehr schön und auch das Ziel wunderbar gelegen. Wenn man gut vorbereitet ist, kann man den Lauf sicherlich genießen. Und das überlege ich mir auch schon wieder für das nächste Jahr, auch wenn ich nach dem Lauf gesagt habe: Nie wieder, abgehakt.
Internetseite der Veranstaltung: https://www.stubai.at/ultratrail/
Text und Bild: Franz Berger, Logo: Veranstalter; 2. Juli 2018